Kippelemente – Großrisiken im Erdsystem

Aktueller Forschungsstand: Kippelemente

Klima-Kippelemente sind wichtige, großskalige Bestandteile des Erdsystems, die ein Schwellenverhalten aufweisen. Bei zunehmender globaler Erwärmung bleiben sie zunächst im Wesentlichen stabil, aber können dann ab einem bestimmten Schwellenwert bereits durch kleine zusätzliche Störungen in einen qualitativ neuen Zustand versetzt werden: sie "kippen". Das ist wie bei einer wertvollen Vase, die zunächst stehen bleibt, wenn die Tischplatte immer schiefer gestellt wird. Erst passiert nichts - dann reicht eine kleinste Erschütterung, und sie kippt.

Karte Kippelemente

Räumliche Verteilung der globalen und regionalen Kippelemente. Die Farben bezeichnen den Temperaturbereich, in dem ein Kippen wahrscheinlich wird. Abbildung designed am PIK (unter CC-BY Lizenz), wissenschaftliche Grundlage ist Armstrong McKay et al., Science (2022).

Dem Schwellenverhalten im Erdsystem liegen oft selbstverstärkende Prozesse zugrunde, die – einmal angestoßen – auch ohne weiteren externen Einfluss weiterlaufen. Dadurch kann es passieren, dass der neue Zustand eines Kippelementes erhalten bleibt, selbst wenn das Hintergrundklima wieder hinter den Schwellenwert zurückfällt. Der Übergang nach dem Überschreiten eines systemspezifischen Kipppunktes kann dabei sprunghaft, aber auch allmählich erfolgen. Bereits das Überschreiten einzelner Kipppunkte hat weitreichende Umweltauswirkungen, welche die Lebensgrundlage vieler Menschen gefährden1. Es besteht zudem das Risiko, dass durch Rückkopplungsprozesse weitere Kipppunkte im Erdsystem überschritten werden und so eine dominoartige Kettenreaktion ausgelöst wird2,3.

Seit den ersten Veröffentlichungen im Jahr 2007/20084,5 hat sich das Wissen über Kippelemente stark erweitert – und vieles ist weiterhin in Bewegung. So haben die Universität Exeter und das PIK ein Übereinkommen geschlossen, die Kipppunkte in unserem Klimasystem gemeinsam zu erforschen - ein erstes Resultat liegt mit dem Global Tipping Points Report bereits vor. Außerdem ist ein Projekt zum Modellvergleich in Vorbereitung, also zum Vergleich unterschiedlicher Computer-Simulationen zu Kipp-Prozessen im Erdsystem: TipMIP, ein „TIPping point Model Intercomparison Project“.
Generell gilt: In der Forschung baut alles aufeinander auf und ergänzt sich. Die genaue Anzahl angegebener Kippelemente hängt dabei oft schlichtweg von Details in der Definition oder vom Fokus der jeweiligen Studie ab (vgl. auch Abschnitt Fortschritte in der Kippelementeforschung).
PIK News und Publikationen zum Thema

Aktueller Forschungsstand

Hier fassen wir den aktuellen Forschungsstand zusammen – angelehnt an eine 2022 erschienene, zusammenfassende wissenschaftliche Publikation einer internationalen Gruppe von Forschenden von der Universität Exeter, Stockholm Resilience Center, Future Earth, und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung6

Informationen zu den einzelnen Kippelementen (z.B. Kippverhalten, Zeitskalen und Folgen des Kippens) sind durch Ausklappen der grauen Balken zugänglich. Alle angegebenen Temperaturen beziehen sich auf die globale Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Wert. Temperaturbereiche in Klammern ergänzen den Wert, ab dem ein Kippen wahrscheinlich ist, um den Temperaturbereich, in dem es möglich ist, z.B. 3°C (2-4°C).

Armstrong McKay et al. (Science, 2022) identifizieren:

  • 9 Kern-Kippelemente, die relevant zum Funktionieren des Erdsystems beitragen;
  • plus 7 regionale Kippelemente, die relevant zum menschlichen Wohlergehen beitragen, oder als einzigartiges Merkmal des Erdsystems von großem Wert sind.
Globales Kern Kippelement: Globus-Icon, alle Planquadrate eingefärbt Kern-Kippelemente des Erdsystems
Regionales Kippelement: Globus-Icon mit einem eingefärbten Planquadrat Regionale Kippelemente
Die Warnleuchten zeigen an, wie nah der Schwellenwert für das wahrscheinliche Kippen an der bereits heute beobachteten globalen Erwärmung liegt. Bislang beträgt diese im weltweiten Mittel 1,2 Grad, mit weiterhin steigender Tendenz.
Schwellenwert: Drei rote Warnleuchten Wahrscheinliches Kippen im Bereich des Pariser Abkommens (1,5°C bis < 2°C)
Schwellenwert: Zwei orangene Warnleuchten Im mit gegenwärtigen Klimamaßnahmen erreichbaren Bereich (bis 3,7°C)
Schwellenwert: eine gelbe Warnleuchte Unter 6°C
Schwellenwert: eine graue Warnleuchte Über 6°C

Hier soll gezeigt werden, wie das Forschungsteam der Untersuchung von Armstrong McKay et al 2022 die wissenschaftliche Sicherheit der Aussagen über die Schwellenwerte der Temperaturen einschätzt. Diese Einschätzung basiert auf der Anzahl und der Übereinstimmung der relevanten Studien.

Hohe wissenschaftliche Sicherheit: Icon mit drei menschlichen Figuren und vier Ausrufezeichen Hohe wissenschaftliche Sicherheit bezüglich des Wertes der Temperaturschwelle
Mittlere wissenschaftliche Sicherheit: Icon mit zwei menschlichen Figuren und zwei Ausrufezeichen, einem Fragezeichen Mittlere wissenschaftliche Sicherheit
Geringe wissenschaftliche Sicherheit: Icon mit einer menschlichen Figure und einem Ausrufezeichen, einem Fragezeichen Geringe wissenschaftliche Sicherheit

blau.png Eiskörper (Elemente der Kryosphäre)

Wo das helle Eis schwindet, kommt meist ein dunklerer Untergrund zum Vorschein, sei es das felsige Bett eines Gletschers oder das Meer. Diese freigelegte dunkle Oberfläche nimmt mehr Sonnenwärme auf, die wiederum den Schwund des verbliebenen Eises beschleunigt. Dieser Mechanismus, die so genannte Eis-Albedo-Rückkopplung, ist ein klassisches Beispiel eines selbstverstärkenden Prozesses, bei dem ein und dasselbe Phänomen, nämlich der Eisverlust, sowohl Folge als auch ein Teil der Ursache der lokalen Temperaturerhöhung ist. Daneben gibt es noch viele weitere Mechanismen, welche - wie im Folgenden beschrieben - die großen Eismassen des Erdsystems zu Kippelementen machen.

Was und wo?
Die Insel Grönland ist ganzjährig von einem stellenweise drei Kilometer starken Eisschild bedeckt.

Kipppunkt & Kippverhalten
Verlust: In den letzten Jahren hat wegen der mit der Erderwärmung ansteigenden Temperaturen der Eisverlust in Grönland stark zugenommen. Dabei fließen Gletscher ins Meer und es gibt verstärktes Abschmelzen im Sommer. Der Eisschild verliert dadurch langfristig an Höhe. Seine Oberfläche, die sich jetzt noch in hohen und damit kalten Luftschichten befindet, sinkt und wird somit wärmeren Temperaturen ausgesetzt. Das wiederum verstärkt das Abschmelzen weiter.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Es gibt Hinweise darauf, dass der Kipppunkt, der zu einem auf lange Sicht (ca. 10 000 Jahre) so gut wie vollständigen Eisverlust führt, wahrscheinlich schon bei einer globalen Erwärmung von knapp 1,5°C (Möglich ab 0,8°C globaler Erwärmung, spätestens bei 3°C) erreicht werden könnte. Je weiter der Temperatur-Grenzwert überschritten wird, desto schneller kann der Kippprozess ablaufen (jedoch mindestens 1000 Jahre, die Maximalabschätzung liegt bei 15 000 Jahren).

Folgen des Kippens
Ein vollständiger Verlust des Eisschilds würde zu einem weltweiten Meeresspiegelanstieg von bis zu sieben Metern führen, und andere Kippelemente (insbesondere die Atlantische Umwälzzirkulation) beeinflussen.

Was und wo?
Das Nordpolarmeer ist zu großen Teilen ganzjährig von schwimmendem Meereis bedeckt, dessen Ausdehnung im Jahreslauf natürlich schwankt. Hier geht es um die Meereisbedeckung im Winter, die eine Dicke von wenigen Metern niemals überschreitet. [Nicht zu verwechseln mit den teilweise hunderte Meter dicken Tafeleisbergen. Diese sind abgebrochene Eisschelfe, schwimmende Gletscherzungen, die vom Land kommen. Und außerdem nicht zu verwechseln mit der Meereisbedeckung im Sommer, die bereits stark abgenommen hat, so das der Nordpol möglicherweise noch in diesem Jahrhundert im Sommer eisfrei sein wird.]

Kipppunkt & Kippverhalten
Kollaps: Verschiebungen im Zusammenspiel der Jahreszeiten, in denen sich Meereis bildet und in denen es wieder schmilzt, führt in einigen Modellen, also Computersimulationen zu einem Schwellenverhalten.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Ein Schwellenwert kann aus den Modellen bei etwa 6,3°C (4,5-8,7°C) identifiziert werden, sowie eine Dauer des Kippprozesses von 20 Jahren (10-100 Jahre).

Folgen des Kippens
Das Meereis im Winter beeinflusst auch das Meereis im Sommer – und eine offene Meeresfläche trägt auf verschiedenen Wegen dazu bei, dass die Erderwärmung in den hohen nördlichen Breiten etwa doppelt so schnell von statten geht wie im globalen Durchschnitt. Insgesamt ergibt dieses Feedback eine Erhöhung der globalen Mitteltemperatur um 0,6°C.

 Was und wo?
Das Wintermeereis in der Barentssee (zwischen Skandinavien, der Insel Svalbard und Nowaja Semlja gelegen) ist ein Spezialfall im Vergleich zum restlichen Arktischen Meereis.

Kipppunkt & Kippverhalten
Plötzlicher Verlust: Ein Verschwinden verstärkt sich durch den Zufluss warmen Atlantikwassers selbst.
Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Zwei Modelle zeigen so einen plötzlichen Verlust bereits bei 1,6°C (1,5-1,7°C), bei einer möglichen Prozessdauer von etwa 25 Jahren.

Folgen des Kippens
Zu den Folgen gehören ein signifikanter Einfluss auf Luftzirkulationen, das europäische Klima sowie möglicherweise auf die Atlantische Umwälzzirkulation.

Was und wo?
In den oberen drei Metern der ganzjährig gefrorenen Permafrostböden in den hohen nördlichen Breiten sind etwa Tausend Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert.

Kipppunkt & Kippverhalten
Plötzliches Abtauen: Wegbrechender Boden setzt z.B. bei der sogenannten Thermokarst-Seen-Bildung auch tieferliegende Schichten Tau- und Zersetzungsprozessen aus. Obwohl dies ein lokaler Prozess ist, könnte er nahezu synchron auf subkontinentaler Ebene stattfinden, also im großen Maßstab.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Der Temperaturschwellenwert für ein Kippen wird auf 1,5°C (1-2,3°C) geschätzt, mit einer Prozessdauer von 200 Jahren (100-300 Jahre).

Folgen des Kippens
Im Vergleich zum graduellen Abtauen könnte solch ein abrupter Kippprozess den Kohlenstoffausstoß der Permafrostböden um 50-100% steigern und möglicherweise den grossflächigen Kollaps des Borealen Perfamfrosts (siehe unten) auslösen. In jedem Fall würde das Abtauen mit der Freisetzung großer Mengen von Treibhausgasen zur globalen Erhitzung beitragen, und damit zu allen Klimarisiken, von Extremwetter bis Meeresspiegelanstieg.

Was und wo?
Die arktischen Perma- oder Dauerfrostböden, gefroren über Jahrhunderte bis Jahrtausende, befinden sich in Sibirien und Nordamerika und könnten beim Auftauen riesige Mengen der Treibhausgase Kohlenstoffdioxid und Methan freisetzen. In sogenannten Yedoma-Böden sind in Tiefen von mehr als 3 Metern vermutlich mehrere hundert Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert.

Kipppunkt & Kippverhalten
Kollaps: Diese Stoffe stammen aus organischem Material, welches während und seit der letzten Eiszeit hier eingelagert wurde. Mikroorganismen, die diese Kohlenstoffverbindungen zersetzen, erzeugen Wärme und beschleunigen so das Auftauen und die Zersetzung des Bodens.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Ein Schwellenwert könnte der relativ dünnen Studienlage nach bei etwa 4°C (3-6°C) erreicht sein. Der Kippprozess könnte sich innerhalb von 50 Jahren (10-300 Jahre) abspielen.

Folgen des Kippens
Die freigesetzten Kohlenstoffverbindungen könnten zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung von 0,2-0,4°C führen.

 Was und wo?
Hier geht es um Gebirgsgletscher außerhalb Grönlands und der Antarktis, die oft alpin genannt werden und jeweils ihre eigenen speziellen lokalen Eigenschaften aufweisen.

Kipppunkt & Kippverhalten
Verlust: Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass bei bestimmten Temperaturschwellenwerten in großen räumlichen Bereichen ein zeitgleicher Verlust auftreten kann. Dabei sind die europäischen Gletscher am empfindlichsten, und die hochalpinen asiatischen vergleichsweise am stabilsten.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Insgesamt ergibt eine globale Abschätzung einen Schwellenwert von 2°C (1,5-3°C), und eine Prozessdauer von 200 Jahren (50-1000 Jahre).

Folgen des Kippens
Die Versorgung mit Süßwasser hängt in vielen Gebieten der Welt ganz entscheidend vom jährlich zuverlässig und gleichmäßig auftretenden Schmelzwasser ab. Verschwinden die Gletscher, fehlt den Menschen das Schmelzwasser.

Was und wo?
Große Teile der des hoch aufragenden Westantarktischen Eisschildes liegen auf Felsboden, der unterhalb des Meeresspiegels. Dabei fällt dieser Felsboden zum Landesinneren hin sogar noch ab, statt anzusteigen. Der Felsboden befindet sich an den tiefsten Stellen 2,5 Kilometer unter dem Meeresspiegel.

Kipppunkt & Kippverhalten
Verlust: Diese spezielle geografische Situation führt dazu, dass der Eisschild aufgrund bestimmter Fließprozesse instabil werden kann, sobald das sich das Eis – zum Beispiel als Folge wärmeren Ozeanwassers – einmal weit genug zurückgezogen hat: Dann setzt ein selbstverstärkender Prozess ein, der dazu führt, dass der Eisverlust sich beschleunigt.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Der globale Temperatur-Schwellenwert für solch einen Kippprozess wird auf 1,5°C (1-3°C) geschätzt. Am Thwaites-Gletscher könnte ein Kippen bereits unvermeidbar geworden sein. Die Zeitskala für den Kollaps wird auf 2000 Jahre geschätzt (bei starkem Überschreiten des Schwellenwerts mindestens jedoch 500 Jahre, höchstens 13 000 Jahre).

Folgen des Kippens
Sollte der Westantarktische Eisschild durch diesen Prozess zerfallen, würde der Meeresspiegel weltweit um über drei Meter ansteigen.

Was und wo?
Einige Einzugsgebiete der großen Gletscher, mit denen Eis vom Ostantarktischen Eispanzer ins Meer fließt, liegen wie große Teile der Westantarktis auf Boden unterhalb des Meeresspiegels auf. Dazu zählen insbesondere die Wilkes-, Aurora- und Recoverybasins.

Kipppunkt & Kippverhalten
Verlust: Auch hier kann ein selbstverstärkender Fließprozess auftreten.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Die Temperaturschwelle wird bei 3°C (2-6°C) angenommen, und der Prozess könnte sich innerhalb von 2000 Jahren abspielen (500-10 000 Jahre).

Folgen des Kippens
Ein weiterer Beitrag zum Meeresspiegelanstieg.

 Was und wo?
Die Ostantarktis beherbergt in ihren Eispanzern die größten Süßwasserreserven der Welt.

Kipppunkt & Kippverhalten
Verlust: Auch wenn der Ostantarktische Eisschild sehr viel stabiler scheint als die anderen Eismassen auf der Erde, so könnten bei sehr hohen Temperaturen auch hier selbstverstärkende Effekte einsetzen.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Bei einer Erwärmung um 7,5°C (5-10°C) könnte ein Kippprozess In Gang gesetzt werden, der über mehr als 10 000 Jahre zu einem Verlust des ostantarktischen Eises führt.

Folgen des Kippens
Die Eismassen auf der Ostantarktis entsprechen etwa 50 Metern Meeresspiegelanstieg.

blau.png Strömungssysteme

Es gibt ganzjährig oder saisonal vorherrschende großskalige Muster von Luft- und Meeresströmungen, sowie mehrjährige natürliche Schwankungen, die nicht unveränderlich sind. In der Klimageschichte unseres Planeten hat es mehrfach Umbrüche und Phasen der Neuorganisation gegeben. Mit welchen möglicherweise abrupten Veränderungen der Strömungssysteme wir in Zukunft zu rechnen haben, ist im Folgenden zusammengefasst.

Was und wo?
Die Umwälzzirkulation des Atlantiks stellt ein gewaltiges Energieförderband dar, mit dem warmes Wasser an der Oberfläche in den Norden und nach dem dortigen Abkühlen und Absinken in der Tiefe wieder in den Süden transportiert wird. Dies wird "thermohaline Zirkulation" genannt, weil es ein Kreislauf ist, angetrieben von der Temperatur (thermo) sowie vom Salzgehalt (haline) des Wassers. Der Golfstrom, verantwortlich für das milde Klima in Nordwest-Europa, ist Teil dieses Strömungssystems.

Kipppunkt & Kippverhalten
Versiegen: Einer der wesentlichen Motoren für diese Zirkulation ist das kalte, dichte (und somit schwere) Salzwasser, welches vor Grönland und Labrador in die Tiefe sinkt. Strömt durch schmelzendes Eis im Norden mehr Süßwasser zu, könnte sich die Tiefenwasserbildung aufgrund der geringeren Dichte des Wassers abschwächen und dieser Antrieb erlahmen.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Die Studienlage lässt eine Abschätzung des Schwellenwertes bei 4°C (1,4-8°C) zu sowie einen Zeitraum von 50 Jahren (15-300 Jahre) für die Dauer des Prozesses.

Folgen des Kippens
Dies kann gravierende Auswirkungen haben auf Temperatur und Niederschlagsverteilungen - inklusive einer Erwärmung der südlichen Hemisphäre, einer Verschiebung der Intertropischen Konvergenzzone nach Süden, Monsunabschwächungen in Afrika und Asien und einer Verstärkung in der Südhemisphäre, was zu einer Austrocknung im Sahel und in Teilen des Amazonas führen kann, und verringerte natürliche Kohlenstoffsenken. Außerdem kann es zu einer Abkühlung im Nordatlantikraum kommen – das bedeutet aber nicht, dass dieser Effekt die globale Erwärmung wesentlich abschwächen kann, denn die verschiedenen Prozesse beeinflussen sich auf komplexe Weise, und man kann die Temperaturen nicht einfach zusammenzählen.

Was und wo?
Im Labrador- und im Irminger-Meer im Nordatlantik gibt es als Teil des sogenannten subploaren Wirbels eine Umwälzströmung.

Kipppunkt & Kippverhalten
Kollaps: Etliche Modelle zeigen eine Zusammenbruch dieser Umwälzzirkulation als Folge globaler Erwärmung.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Der Schwellenwert für einen solchen Kollaps wird bei etwa 1,8°C (1,1-3,8°C) angenommen, und der Prozess könnte innerhalb von 10 Jahren ablaufen (5-50 Jahre).

Folgen des Kippens
Zu den Folgen zählen eine regionale Abkühlung im Nordatlantik um circa 2-3°C und möglicherweise globale Abkühlung um 0,5°C (wobei dies nicht bedeutet, dass ein Kippen die globale Erwärmung regulieren kann). Außerdem rechnet man mit einer Verschiebung des Jet Streams in Richtung Norden, Wetterextremen in Europa sowie eine Verschiebung der intertropischen Konvergenzzone nach Süden.

blau.png Ökosysteme (Elemente der Biosphäre)

Der lebendige Teil des Erdsystems, die Biosphäre, spielt eine entscheidende Rolle für das Klima – sowohl in der betreffenden Region, als auch über verschiedene Wechselwirkungen mit dem Weltklima. Zum Beispiel wird, wenn wegen eines trockeneren und wärmeren Klimas Vegetation abstirbt, zusätzlich Kohlenstoff freigesetzt. Dadurch entsteht CO2, was wiederum den Klimawandel befeuert. Ökosysteme können sich durch die Klimaerwärmung ab einer bestimmten Temperaturschwelle – einem Kipppunkt – grundsätzlich und teilweise unwiederbringlich verändern.

Was und wo?
Die nordischen Nadelwälder - Fachleute nennen sie 'boreal' - umfassen fast ein Drittel der weltweiten Waldfläche. Sie liegen ringförmig um die Arktis herum, und werden oft auch Taiga genannt. Dieses Kippelement weist zwei Kippprozesse auf: das plötzliche Absterben im Süden und die Ausbreitung in den Norden (siehe unten).

Kipppunkt & Kippverhalten
Absterben im Süden: Erwärmung kann die borealen Nadelwälder an ihrem südlichen Ende im Zusammenhang mit Veränderungen der Wasserkreisläufe, häufigere Bränden und Borkenkäferbefall selbstverstärkend und über größere Bereiche (~100km) destabilisieren.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Die aufgrund der Studienlage bestmögliche Abschätzung beträgt 4°C (1,4-5°C) für den Temperaturschwellenwert, und Zeitskalen von 100 Jahren (mindestens 50 Jahre).

Folgen des Kippens
Die Nadelwälder werden durch Steppe bzw. Prärie ersetzt. Der dadurch freigesetzte Kohlenstoff und die veränderte Umgebung können zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung von etwa 0.2°C beitragen.

 Was und wo?
Die nordischen Nadelwälder - von Fachleute 'boreal' genannt - umfassen fast ein Drittel der weltweiten Waldfläche. Sie liegen ringförmig um die Arktis herum, und werden oft auch Taiga genannt. Dieses Kippelement weist zwei Kippprozesse auf: das plötzliche Absterben im Süden (siehe oben) und die Ausbreitung in den Norden.

Kipppunkt & Kippverhalten
Northern expansion: The forests can, due to warming, expand abruptlystep-wise at their northern periphery, and thereby cover usually very bright and reflecting snow surfaces – accelerating arctic warming. Dunkle Flächen absorbieren mehr Energie, helle Flächen reflektieren die Sonneneinstrahlung stärker.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Genaue Schwellwerte sind aktuell noch nicht verlässlich bestimmt. Die bestmögliche Abschätzung liegt bei 4°C (1,5-7,2°C), und Zeitskalen von 100 Jahren (mindestens 40 Jahre).

Folgen des Kippens
Einerseits wird mehr CO2 aufgenommen, andererseits verdunkelt sich die Erdoberfläche, so dass es wohl insgesamt zu einer Verstärkung der Erderwärmung kommt.

Was und wo?
Tropische und subtropische Korallenriffe sind eines der Ökosysteme mit der höchsten Biodiversität auf der Erde. Sie haben einen enormen Einfluss auf die Nahrungskette im Meer, den Nähr- und Kohlenstoffkreislauf im Ozean, und sind entscheidend für die Lebensbedingungen von Millionen Menschen weltweit. Sie bieten zum Beispiel Küstenschutz und sind wichtig für die Tourismuswirtschaft.

Kipppunkt & Kippverhalten
Absterben: Korallenriffe sind durch eine Vielzahl von menschlichen Einflüssen bedroht, darunter Überfischung, direkte mechanische Beschädigung, Sedimentation und Ozeanversauerung. Sobald aber die Wassertemperaturen eine bestimmte Schwelle überschreiten, stoßen die Korallen einfach ihre symbiotischen Algen ab, was zur Bleiche und dann zum Absterben der Korallen selbst führt.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Der Schwellenwert für ein weitreichendes Absterben wird auf 1,5°C (1-2°C) geschätzt. Es wird von einer Prozessdauer von etwa 10 Jahren ausgegangen.

Folgen des Kippens
All die oben genannten wichtigen Funktionen der Korallenriffe fallen bei einem Absterben weg.

Was und wo?
Der Westafrikanische Monsun und die Vegetation im Sahel sind eng miteinander verknüpft, und ermöglichen ein Ergrünen des Sahel.

Kipppunkt & Kippverhalten
Ergrünen: Etliche selbstverstärkende Prozesse sind bekannt, insbesondere beeinflussen Staub und Aerosolen den Regenfall. Weiterhin begünstigen sich Regen und zunehmende Vegetation wechselseitig.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Es ist zwar nicht eindeutig, ob es tatsächlich einen Kippverhalten geben wird, aber Hinweise auf mehrere abrupte Umbrüche in der Erdvergangenheit, bekannte Schwächen in Modellen, die erwartetes Kippverhalten nicht abbilden können, und enormen regionalen Auswirkungen lassen ForscherInnen diesen Prozess als Kipppunkt definieren, mit einem Schwellenwert von 2,8°C (2-3,5°C), sowie einer Zeitskala von 50 Jahren (10-500 Jahre).

Folgen des Kippens
Eine grundlegende Veränderung der Vegetation in der Region.

 Was und wo?
Der Amazonas Regenwald in Südamerika ist ein Element der Biosphäre, das jedoch unter anderem wegen der dortigen Wasser- und Kohlenstoffkreisläufe eine wichtige Rolle im gesamten Erdsystem spielt.

Kipppunkt & Kippverhalten
Absterben: Ein Großteil der Niederschläge im Amazonasbecken stammt aus über dem Wald verdunstetem Wasser. Ein Rückgang der Niederschläge in einem wärmeren Erdklima und die Abholzung des Regenwaldes sowie Brände könnten den Wald an eine kritische Grenze bringen.

Temperatur-Grenzwerte & Zeitskalen
Die bei zur Zeit teilweise unklarer Studienlage bestmögliche Abschätzung eines Schwellenwertes beträgt ungefähr 3,5°C (2-6°C) – allerdings ohne den Einfluss von Abholzungen. Die Zeitskala für den Prozess könnte bei etwa 100 Jahren liegen (50-200 Jahre).

Folgen des Kippens
Eine Umwandlung des Amazonas-Regenwaldes in einen an die Trockenheit angepassten saisonalen Wald oder eine Graslandschaft hätte grundlegende Auswirkungen auf das Erdklima, da immerhin etwa ein Viertel des weltweiten Kohlenstoff-Austausches zwischen Atmosphäre und Biosphäre hier stattfindet.

blau.png Fortschritte in der Kippelementeforschung

Die Kippelementeforschung hat seit ihren Anfängen in den 2000er Jahren enorme Fortschritte gemacht. Einige Vorschläge, welche Komponenten des Erdsystems nach (durchaus auch nicht immer einheitlichen) Definitionen zu den Kippelementen gehören, sind wieder verworfen worden, oder zumindest so unsicher, dass sie in der obigen Liste nicht mehr auftauchen.

Unsicher: Verschiebung des indischen Sommermonsuns, Verstärkung bzw. Verlust des Meereises im südlichen Ozean, Aufbrechen von Stratokumuluswolken im Äquatorbereich, Kollaps Antarktischer Tiefenwasserbildung, Verstärkung des Tiefenwasseraufstiegs im indischen Ozean, Verlust tibetanischer Schneefelder, Sauerstoffverlust im Ozean.

Verworfen: Plötzliche Ausweitung des Ozonlochs in der Arktis, ein permanenter/extremer El Niño, Instabilität des nördlichen polaren Jetstreams.

hotspots_2017_e.png
Etwas ältere Darstellung der globalen Kippelemente

Außerdem gibt es noch weitere mögliche Kippelemente, die zwar selbstverstärkende Prozesse, aber kein Schwellenverhalten aufweisen, oder nur lokales, nicht großräumig zeitgleiches Kippverhalten zeigen. Dazu gehören das graduelle Abtauen des borealen Permafrost, der Verlust des arktischen Sommermeereises, die Abschwächung der globalen Kohlenstoffsenken auf dem Land und im Ozean, sowie der biologischen Pumpe im Ozean und die Auflösung mariner Methan-Hydrate.

Referenzen

1. Lenton, Timothy M., et al. "Climate tipping points—too risky to bet against." Nature, (2019): 592-595.
2. Wunderling, N., Donges, J. F., Kurths, J., & Winkelmann, R.. "Interacting tipping elements increase risk of climate domino effects under global warming." Earth System Dynamics, 12(2),(2021): 601-619.
3. Steffen, Will, et al. "Trajectories of the Earth System in the Anthropocene." Proceedings of the National Academy of Sciences 115.33 (2018): 8252-8259.
4. Lenton, Timothy M., and Hans Joachim Schellnhuber. "Tipping the scales." Nature Climate Change 1.712 (2007): 97-98.
5. Lenton, Timothy M., et al. "Tipping elements in the Earth's climate system." Proceedings of the national Academy of Sciences 105.6 (2008): 1786-1793.
6. Armstrong McKay et al. “Exceeding 1.5°C global warming could trigger multiple climate tipping points.” Science 377(6611),(2022).