„Eine Destabilisierung des schwimmenden Eises in einer Region kann ein weitreichendes Signal senden, das bis zu 900 Kilometer weit quer über das größte Eisschelf der Antarktis reichen kann, das größer ist als Deutschland", sagt Hauptautorin Ronja Reese vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Das geschieht mit einer unglaublichen Geschwindigkeit – ähnlich der, mit der sich die Erschütterungen eines Erdbebens fortsetzen." Beobachtungen zeigen, dass das schwimmende Eis, das die Antarktis umgibt – die so genannten Eisschelfe – dünner wird. Es ist deshalb wichtig, die Folgen für die riesigen Eismassen an Land besser zu verstehen. Die Wissenschaftler führten Computersimulationen des Eisflusses in der Antarktis durch, um mögliche Folgen der globalen Erwärmung zu untersuchen, die durch Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verursacht wird.
Die Gefahr für die Stabilität des Eises liegt in der Tiefe des umgebenden Meeres
„Die Lufttemperatur über dem größten Teil der Antarktis liegt ständig unter dem Gefrierpunkt – das Hauptrisiko für die Stabilität des Eises kommt aus den Tiefen des Meeres, das den Kontinent umgibt", erklärt Ko-Autorin und Projektleiterin Ricarda Winkelmann vom PIK. Wärmeres Wasser vor der Küste, das in die Bereiche unter den Eisschelfen eindringt, kann das schwimmende Eis dünner machen. Da sich dieses Eis bereits im Wasser befindet, trägt sein Schmelzen nicht direkt zum Anstieg des Meeresspiegels bei. „Allerdings sind die Eisschelfe von enormer Bedeutung, da sie den Eisfluss aus dem Inland in den Ozean abbremsen. Veränderungen in den Eisschelfen können einen großen Einfluss auf den Spannungszustand an der Aufschwimmlinie der kontinentalen Eismassen haben. Dieser Prozess ist tatsächlich der Hauptgrund für den derzeit beobachteten Beitrag der Antarktis zum Meeresspiegelanstieg."
„Dies ist das erste Mal, dass die Auswirkungen des Dünnerwerdens von Eisschelfen in der Antarktis systematisch quantifiziert wurden", sagt Ko-Autor Hilmar Gudmundsson vom British Antarctic Survey in Cambridge, Großbritannien. „Wir hatten erwartet, dass die Auswirkungen bedeutend sein könnten – jetzt wissen wir, dass es so ist."
Kartierung kritischer Regionen
Die Wissenschaftler konnten die Bereiche des schwimmenden Eises identifizieren, die die stärkste Reaktion auslösen können. Sie stellten fest, dass sich die Regionen der Eisschelfe, die sich als entscheidend für die Beschleunigung der Inlandeisströmung erwiesen, einerseits in der Nähe der Aufschwimmlinie von Eisströmen und Eiserhebungen befinden. Sie liegen aber auch am Rande und in der Mitte einiger Eisschelfe – oft an den Stellen, die den umliegenden Gewässern der Antarktis am nächsten liegen, und damit stärker gefährdet sind. In den südlichsten Meeren der Erde können einige der unteren Schichten des Ozeans wärmer sein als die oberen Schichten, die der kalten Luft darüber näher sind.
„Unser Ansatz ist rein diagnostisch und kann nicht direkt in eine Vorhersage des Eismassenverlusts übersetzt werden, dennoch zeigt er die Risiken, die wir in der Antarktis eingehen, wenn wir die Erwärmung unseres Planeten nicht begrenzen", sagt Ko-Autor Anders Levermann vom PIK und der Columbia University, New York. „Wir haben die kritischsten Bereiche des schwimmenden Eises kartiert, die selbst bei einer geringfügigen Änderung der Eisdicke eine starke Reaktion des Inlandeises auslösen können. Hier braucht es eine gezielte Beobachtung der Veränderungen der Eisdicke und der Meerestemperatur unterhalb dieser Gebiete. Und es kann uns allen als Warnung dienen, dass das, was als ewiges Eis bezeichnet wird, doch nicht so ewig sein könnte. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass die Begrenzung der globalen Erwärmung notwendig ist, um die antarktischen Eismassen zu stabilisieren, viele Meter zusätzlichen Meeresspiegelanstiegs zu vermeiden und damit Städte wie New York, Hamburg, Mumbai und Shanghai zu schützen."
Artikel: Ronja Reese, Hilmar Gudmundsson, Anders Levermann, Ricarda Winkelmann (2017): The far reach of ice-shelf thinning in Antarctica. Nature Climate Change [DOI: 10.1038/s41558-017-0020-x]
Weblink zum Artikel, sobald er veröffentlicht ist: http://dx.doi.org/10.1038/s41558-017-0020-x
Kontakt für weitere Informationen:
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Pressestelle
Telefon: +49 (0)331 288 2507
E-Mail: presse@pik-potsdam.de
Twitter: @PIK_Klima
www.pik-potsdam.de