„Wenn die EU ihr jüngst bestätigtes Ziel konsequent verfolgt, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 zu senken, und entsprechend die Zertifikatsmengen im ETS verringtet, wird sich der Stromsektor überraschend schnell grundlegend verändern“, sagt Robert Pietzcker vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einer der Haupt-Autoren. „Unsere Computermodelle, mit denen wir die Umsetzung der Ziele simuliert haben, zeigen, dass die erneuerbaren Energien bereits 2030 fast drei Viertel der Stromerzeugung ausmachen und wir bereits 2040 null Emissionen im Stromsektor erreichen würden. Wenn der Wandel erst einmal eingeleitet ist, wird er in beispielloser Weise an Geschwindigkeit gewinnen.“
Um die Auswirkungen zu quantifizieren, untersuchten die Ökonomen Faktoren wie unterschiedlich scharfe Emissionsreduktionsziele, eine erhöhte Stromnachfrage, die sich aus der Sektorkopplung ergeben könnte, und Investitionen in den Ausbau der Übertragungsnetz-Infrastruktur, um erneuerbare Ressourcen in den europäischen Ländern besser zu bündeln. Sie berücksichtigten in ihrer Analyse, deren Ergebnisse auch in das Kopernikus-Projekt Ariadne einfließen, zudem die Auswirkung einer möglichen Nichtverfügbarkeit von neuen Kernkraftwerken sowie von Kraftwerken mit Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS). Bemerkenswerterweise erwiesen sich dabei weder Kernkraft noch fossile CCS-Kraftwerke in den Computersimulationen als relevant für die Emissionsreduktion.
Kohleausstieg bis 2030, gasbasierte Stromerzeugung stark reduziert
„Alles in allem wird das 55%-Ziel massive Auswirkungen auf den Stromsektor haben“, sagt Sebastian Osorio vom PIK, ein weiterer Haupt-Autor. „Unter dem bisherigen EU-Klimaziel – das eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 um lediglich 40% vorsah – wurde erwartet, dass der CO2-Preis im Rahmen des EU-Emissionshandels bis 2030 auf 35€ pro Tonne CO2 steigen würde. Implementiert die EU jedoch das neue Ziel von minus 55%, würde sich der CO2-Preis im ETS mehr als verdreifachen, auf rund 130€ pro Tonne CO2 im Jahr 2030. Das wäre das Ende der Kohleverstromung, wie wir sie kennen – nämlich nur noch 17 Terrawattstunden im Jahr 2030, lediglich 2% des Niveaus von 2015.“
„Anders als in den letzten Jahren zu beobachten war, wird das Ende der Kohle allerdings nicht dazu führen, dass in Zukunft mehr Strom in Gaskraftwerken erzeugt wird“, ergänzt Robert Pietzcker. „Bei CO2-Preisen von über 100€ pro Tonne CO2 erwarten wir, dass die gasbasierte Stromerzeugung bis 2030 auf weniger als 40% des Wertes von 2015 sinkt, und bis zum Jahr 2045 sogar auf weniger als 4%. Die Pläne zum Bau neuer Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke in einigen EU-Mitgliedsstaaten fühlen sich an wie eine Zeitreise zurück ins Jahr 2005, als einige Energieversorger trotz des EU-ETS neue Kohlekraftwerke planten und damit Milliarden an stranded assets schufen, die ihre Investitionskosten nie zurückzahlen werden. Die einzigen Neubauten, die ihre Investitionskosten wahrscheinlich wieder einspielen werden, sind Anlagen mit Turbinen, die auch mit hohen Anteilen von Wasserstoffbeimischung laufen können.“
Die saisonale Wasserstoffspeicherung in Kombination mit einer besseren Vernetzung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und dem Einsatz von Batterien kann einen stabilen Betrieb eines sauberen Stromsystems ermöglichen, das fast ausschließlich auf erneuerbaren Quellen basiert.
Strompreise würden zunächst steigen, aber dann bis 2050 auf das heutige Niveau zurückkehren
Dies ist nicht nur eine gute Nachricht für die Stabilisierung unseres Klimas, sondern auch für die Industrie und die Endverbraucher, da diese Veränderungen nur mit sehr geringen Preissteigerungen einhergehen werden. „Die Abschaltung fossiler Kraftwerke vor dem Ende ihrer Lebensdauer und der frühere Ausbau von Wind- und Solarenergie in diesem Jahrzehnt werden die Preise vorübergehend erhöhen“, erklärt Ko-Autor Renato Rodrigues vom PIK. „Aber nach 2025 werden die Kosten aufgrund der größeren Verfügbarkeit von günstigem Wind- und Solarstrom wieder sinken und die Strompreise letztlich auf das Niveau des letzten Jahrzehnts zurückführen. Die EU ist also gut beraten, ihr neues Ziel schnell in eine Verschärfung der ETS-Mengen umzusetzen, um eine bezahlbare und nachhaltige Transformation unseres Stromsystems zu gewährleisten.“
Link zum Artikel:
Robert C. Pietzcker, Sebastian Osorio, Renato Rodrigues (2021): Tightening EU ETS targets in line with the European Green Deal: Impacts on the decarbonization of the EU power sector. Applied Energy. DOI: 10.1016/j.apenergy.2021.116914.
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