"Wir wissen jetzt, dass ein Atomkonflikt nicht nur eine schreckliche Tragödie in der Region wäre, in der er passiert - er ist auch ein unterschätztes Risiko für die globale Ernährungssicherheit", sagt Jonas Jägermeyr vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem NASA Goddard Institute for Space Studies und der Universität Chicago; er ist Leit-Autor der Studie, die jetzt in den Proceedings of the US National Academy of Sciences veröffentlicht wurde. "Wir stellen schwere Verluste in der landwirtschaftlichen Produktion fest, aber wir haben auch die Auswirkungen des Handels auf die örtliche Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln untersucht. Es zeigt sich, dass die großen Getreide-Regionen die Exporte kürzen würden und dann weltweit Länder unter Versorgungsengpässen leiden würden. Die regionale Krise würde also zu einer globalen Krise werden, weil wir alle vom gleichen Klimasystem abhängig sind."
Ruß von durch die Bomben entzündeten Bränden würde das Sonnenlicht teilweise blockieren
Als Beispiel für einen regionalen Konflikt untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Auswirkungen eines begrenzten Atomkriegs zwischen Indien und Pakistan, bei dem weniger als 1 Prozent des weltweiten Atomwaffenarsenals eingesetzt wird. Die durch die Bomben entzündeten Feuer würden große Mengen Ruß hoch in die Atmosphäre aufsteigen lassen, wo der Wind den Rauch schnell über den ganzen Globus verteilt. Die vielen kleinen Teilchen würden daraufhin einen Teil des Sonnenlichts davon abhalten, die Erdoberfläche zu erreichen, was zu einer plötzlichen Abkühlung und zu wechselnden Wettermustern führen würde. Für Emissionen von 5 Millionen Tonnen Rauch berechneten Klimamodelle einen globalen mittleren Temperaturabfall von etwa 1,8 Grad Celsius und einen Rückgang der Niederschläge um 8 Prozent für mindestens fünf Jahre - wodurch die Erde in einen wesentlich kälteren und trockeneren Zustand versetzt würde. Zum Vergleich: Bisher haben Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen unseren Planeten um etwa 1 Grad Celsius erwärmt. Vor dieser Studie gab es nur sehr wenige Erkenntnisse darüber, wie die globalen Agrarsysteme auf die Abkühlung reagieren würden.
Im ersten Jahr nach dem Krieg könnten die heimischen Reserven und der Welthandel den Verlust der Nahrungsmittelproduktion weitgehend auffangen, so die Forschenden. Bis zum vierten Jahr wären die Getreidevorräte jedoch praktisch erschöpft und der internationale Handel käme zum Erliegen. Anhaltende Produktionsverluste würden sich daher von den Kornkammern der nördlichen Halbkugel bis zu den oft ärmeren Ländern des globalen Südens ausbreiten. Die Verfügbarkeit von Mais und Weizen würde in mehr als 70 Ländern mit rund 1,3 Milliarden Einwohnern um mindestens 20 Prozent schrumpfen. "Dies ist eine überraschend scharfe Reaktion angesichts der viel größeren Konfliktszenarien, die man sich sonst so im Zusammenhang mit einem Atomkrieg vorstellen kann", sagt Jägermeyr.
"Außerhalb der Zielgebiete könnten noch mehr Menschen durch Hungersnot sterben"
"So schrecklich die direkten Auswirkungen von Atomwaffen auch wären, es könnten mehr Menschen außerhalb der Zielgebiete sterben – durch Unterernährung, einfach wegen der indirekten klimatischen Auswirkungen", sagt Co-Autor Alan Robock von der Rutgers University in den USA. "Die Verbreitung von Atomwaffen geht weiter, und es gibt faktisch ein nukleares Wettrüsten in Südasien. Die Untersuchung der globalen Auswirkungen eines regionalen Atomkrieges ist daher – leider – keineswegs ein Thema des Kalten Krieges."
Die Autoren schließen Indien und Pakistan von ihren Analysen aus, um willkürliche Annahmen beim Vermischen der direkten und indirekten Auswirkungen eines Krieges dort zu vermeiden. Unter der Annahme, dass die Nahrungsmittelproduktion in den beiden Ländern im Grunde auf Null sinken würde, wäre die indirekte globale Nahrungsmittelknappheit noch ausgeprägter. Während die Nuklear-Arsenale beider Länder sowohl in der Anzahl als auch in der Größe der Waffen weiter wachsen, wurde in der Studie das untere Ende der Abschätzung potenzieller Zerstörungen und der entsprechenden Ruß-Emissionen verwendet.
"Wir haben für diese Studie ein Ensemble von sechs führenden globalen AgMIP-Agrar-Modellen untersucht, und alle stimmen in großem Maß überein, was die Abschätzung der Auswirkungen eines regionalen Atomkriegs angeht. Das zeigt, wie robust die Simulationen sind", sagt Co-Autorin Cynthia Rosenzweig vom NASA Goddard Institute for Space Studies. Sie ist eine Pionierin bahnbrechender Vergleiche von Agrar-Simulationen (AgMIP), die heute ein wichtiger Teil des größeren und vom Potsdam-Institut koordinierten Impacts Model Intercomparison Project (ISIMIP) sind. "Der Vergleich verschiedener Modelle von Computersimulationen reduziert Unsicherheiten. Heute können wir verlässlich sagen, dass ein solcher regionaler Atomkrieg etwa ein Jahrzehnt lang negative Folgen für die globale Ernährungssicherheit haben würde – in einem Ausmaß, wie es das in der modernen Geschichte noch nie gegeben hat."
Artikel: Jonas Jägermeyr, Alan Robock, Joshua Elliott, Christoph Müller, Lili Xia, Nikolay Khabarov, Christian Folberth, Erwin Schmid, Wenfeng Liu, Florian Zabel , Sam S. Rabin, Michael J. Puma, Alison Heslin, James Franke, Ian Foster, Senthold Asseng, Charles G. Bardeen , Owen B. Toon , and Cynthia Rosenzweig (2020): A regional nuclear conflict would compromise global food security. Proceedings of the National Academy of Sciences [DOI: 10.1073/pnas.1919049117]
Weblink zum Artikel: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1919049117
Weblink zu AgMIP: https://agmip.org/
Weblink zu ISIMIP: https://www.isimip.org/
Kontakt für weitere Informationen:
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Pressestelle
Telefon: +49 (0)331 288 2507
E-Mail: presse@pik-potsdam.de
Twitter: @PIK_Klima
www.pik-potsdam.de