Meeresspiegelanstieg: Zu groß zum Wegpumpen

10.03.2016 - Der Anstieg des Meeresspiegels könnte in Zukunft so massiv werden, dass ihn sogar ein noch nie dagewesener technischer Eingriff ins Erdsystem nicht lösen könnte – nämlich Wassermassen auf den Antarktischen Kontinent zu pumpen. Diese Idee von Geo-Engineering haben jetzt Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung durchgerechnet. Zwar würde das auf die Antarktis gepumpte Wasser dort gefrieren, sein Gewicht würde aber das Eis verstärkt in Richtung der antarktischen Küste drücken, wo dann Eismassen in den Ozean abbrechen. Damit das Wasser für ein Jahrtausend auf der Antarktis gespeichert werden kann, müsste es deshalb mindestens 700 Kilometer ins Landesinnere gepumpt werden. Dabei müsste ein Zehntel der aktuellen weltweiten Energieversorgung aufgewendet werden, um die derzeitige Anstiegsrate des Meeresspiegels auszugleichen.
Meeresspiegelanstieg: Zu groß zum Wegpumpen

„Wir haben nach einem Weg gesucht, wie der selbst mit strengem Klimaschutz nicht mehr vermeidbare Meeresspiegelanstieg zumindest verzögert werden könnte – bis Ende des Jahrhunderts reden wir dabei wenigstens über 40 Zentimeter im globalen Mittel“, sagt Leitautorin Katja Frieler. „Unser Ansatz ist zwar extrem, aber extrem ist eben auch die Herausforderung durch den Meeresspiegelanstieg.“ Durch das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl entstehen Treibhausgasemissionen, diese treiben die globalen Temperaturen in die Höhe. In der Folge lässt die thermische Ausdehnung der Ozeane und das Schmelzen von Gletschern und Eisschilden langsam aber unaufhörlich den Meeresspiegel steigen – auf Jahrtausende hin. Ohne Klimaschutz könnte der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 bereits mehr als 130 Zentimeter ansteigen. 

Die Antarktis opfern, um Bangladesch zu retten?

„Das ist enorm. Anpassung vor Ort, etwa durch Deichbau, wird nicht überall auf der Welt möglich sein, denn nicht überall gibt es die nötigen technischen Voraussetzungen und finanziellen Mittel“, sagt Frieler. „Wie gut eine Region geschützt wird, kann von ihrer wirtschaftlichen Situation abhängen – New York würde vielleicht gerettet, aber Bangladesch nicht. Es geht also auch um Gerechtigkeitsfragen.“

„Das ist der Grund für unser Interesse an einer universellen Schutzlösung“, so Frieler. „Wir wollten prüfen, ob es theoretisch möglich ist, unbewohnte Regionen der Antarktis zu opfern, um stark bevölkerte Küstenregionen auf der ganzen Welt zu schützen.“ Schon heute verstärkt der steigende Meeresspiegel das Risiko von Sturmfluten, mit möglichen Folgen für Millionen von Menschen auf der Welt. Langfristig wird der Anstieg die Küstenlinien unseres Planeten neu zeichnen.

Die Wissenschaftler haben das Problem unter dem Gesichtspunkt der Eis-Dynamik betrachtet, gestützt auf ausgeklügelte Computer-Simulationen der Antarktis. Weil das Eis sich ständig bewegt, kann das Heraufpumpen und Festfrieren von Ozeanwasser auf dem Eis der Antarktis den Anstieg des Meeresspiegels nur verzögern – und wenn es zu dicht am Rand des Kontinents abgelagert wird, kann es durch sein Gewicht den Eisverlust an der Küste und damit den Anstieg des Meeresspiegels sogar verstärken, wie die Studie zeigt. Deshalb müsste das Wasser weit ins Landesinnere gepumpt werden.

„Sogar wenn es machbar wäre, würde es uns nur einen Aufschub bringen“

Der Eispanzer der Antarktis ist bis zu 4000 Meter hoch, und das würde einen unvorstellbaren technischen Aufwand bedeuten. So viel Wasser so hoch zu pumpen, erfordert eine ungeheure Menge Energie. Die Antarktis ist sehr windig, daher könnte der Strom für die Pumpen grundsätzlich von Windturbinen erzeugt werden. Allerdings müssten hierfür etwa 850.000 Windräder auf den Eiskontinent gebaut werden. Die Kosten wären voraussichtlich deutlich höher als die in anderen Studien für örtliche Anpassung errechneten Kosten, wobei diese örtlichen Maßnahmen naturgemäß begrenzt in Ziel und Umfang sind, so die Forscher.

„Die Größenordnung des Meeresspiegel-Anstiegs ist so gewaltig, dass ein kaum vorstellbarer technischer Ansatz nötig wäre ihn in den Griff zu bekommen“, erklärt Ko-Autor Anders Levermann, Leiter der Forschung zu globalen Anpassungsstrategien am PIK und Wissenschaftler an der Columbia Universität in New York. „Selbst wenn es machbar wäre, würde es uns nur einen Aufschub bringen – wenn wir eines Tages mit dem Pumpen aufhören, würde zusätzlicher Masseverlust der Antarktis den Meeresspiegel-Anstieg  beschleunigen. Solch eine Maßnahme würde künftigen Generationen eine zusätzliche Last aufbürden.“ Zudem würden die besonders empfindlichen Ökosysteme an den Küsten der Antarktis von solchem Geo-Engineering schwer getroffen.

Treibhausgas-Reduktionen, lokaler Küstenschutz, Rückzug

Wenn überhaupt, dann würde ein Verzögern des Meeresspiegel-Anstiegs durch das Pumpen von Wasser auf die Antarktis nur in einem Szenario ehrgeiziger Klimapolitik Wirkung zeigen, also im Falle einer strikten Begrenzung der globalen Erwärmung. „Wenn wir mit den Treibhausgasausstoß weitermachen wie bisher“, so Levermann, „dann würde nicht einmal ein solch riesiges Makro-Anpassungsprojekt genügen, um den Anstieg des Meeresspiegels substanziell zu begrenzen. Deshalb ist eine rasche Reduktion unseres Ausstoßes von Treibhausgasen unverzichtbar, wenn der Anstieg des Meeresspiegels handhabbar bleiben soll. In jedem Fall werden starke Investitionen in örtlichen Küstenschutz notwendig, wenn ein schrittweiser Rückzug von Siedlungen verhindert werden soll.“


Artikel: Frieler, K., Mengel, M., Levermann, A. (2016): Delaying future sea-level rise by storing water in Antarctica.Earth System Dynamics.[DOI 10.5194/esd-7-203-2016]

Weblink zum Artikel sobald er veröffentlicht ist: http://www.earth-syst-dynam.net/7/203/2016/




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