„Was wir heute innerhalb weniger Jahrzehnte tun, bestimmt den Meeresspiegelanstieg für viele Jahrhunderte, das zeigt die neue Analyse deutlicher als je zuvor“, erklärt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Ko-Autor der Studie. „Das ist aber auch eine gute Nachricht: wir haben es beim Ausstoß von Treibhausgasen selbst in der Hand, wie stark wir die Risiken für Millionen von Menschen an den Küsten der Welt ansteigen lassen, von Hamburg bis Schanghai und von Mumbai bis New York.“ Die größten Unsicherheiten schlummern in den Eisschilden Grönlands und der Antarktis, so die Expertinnen und Experten. Satellitengestützte Messungen zeigen, dass die Eisschilde unter globaler Erwärmung immer schneller Masse verlieren, die dann ins Meer gelangt und dieses ansteigen lässt.
„Die gute Nachricht: wir haben es selbst in der Hand“
Für ein Szenario, in dem gemäß dem Pariser Klima-Abkommen die Erwärmung auf 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzt wird, sagten Expertinnen und Experten einen Anstieg der Ozeane von etwa 0,5 Meter im globalen Mittel bis 2100 und 0,5 bis 2 Meter bis 2300 voraus. Für ein Szenario unverminderten Ausstoßes von Treibhausgasen mit einer Erwärmung um weltweit durchschnittlich 4,5 Grad Celsius sagten die Experten und Expertinnen einen entsprechend größeren Anstieg des Meeresspiegels von 0,6 bis 1,3 Meter bis 2100 und 1,7 bis 5,6 Meter bis 2300 voraus.
„Die Komplexität der Projektionen zum Anstieg des Meeresspiegels und die schiere Menge relevanter wissenschaftlicher Veröffentlichungen macht es für Entscheiderinnen und Entscheider in der Politik schwierig, einen Überblick über den Forschungsstand zu gewinnen“, sagt Benjamin Horton von der Asian School of the Environment der NTU, der die neue Studie leitete. „Für einen solchen Überblick ist es deshalb nützlich, führende Expertinnen und Experten zu befragen, welchen Anstieg des Meeresspiegels sie erwarten – das bietet ein breiteres Bild der Zukunftsszenarien und bietet der Politik die Informationen, auf deren Grundlage sie über die nötigen Maßnahmen entscheiden kann.“
„Komplexität und Menge der Veröffentlichungen macht Überblick schwierig“
Die Abschätzungen der befragten Expertinnen und Experten liegen alles in allem höher als die bislang vom Weltklimarat IPCC veröffentlichten. Weil die Daten und das Prozessverständnis immer besser werden, hatte der IPCC zuletzt seine Projektionen zum Meeresspiegel bereits um knapp zwei Drittel angehoben. Nun sieht es aber so aus, als sei die Herausforderung noch größer als bislang befürchtet, und Gegenmaßnahmen daher noch dringlicher.
Die 106 Expertinnen und Experten, die an der neuen Umfrage teilgenommen haben, wurden objektiv ausgewählt, indem aus einer führenden Publikationsdatenbank ein Pool der aktivsten Autorinnen und Autoren von wissenschaftlichen Studien zum Meeresspiegel ermittelt wurde – sie alle hatten mindestens sechs veröffentlichte Arbeiten zum Thema in wissenschaftlich begutachteten Journalen seit 2014. Die nun vorliegende internationale Studie ist Ergebnis einer Zusammenarbeit von Forschenden der NTU Singapur, der Universität Hongkong, der Maynooth University (Irland), der Durham University (Großbritannien), der Rowan University und der Tufts University (USA) sowie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (Deutschland).
Artikel: Horton, Benjamin, et al (2020): Estimating global mean sea-level rise and its uncertainties by 2100 and 2300 from an expert survey. npj Climate and Atmospheric Science [DOI:10.1038/s41612-020-0121-5]
Weblink zum Artikel: https://doi.org/10.1038/s41612-020-0121-5