„Während die nötigen Emissionsreduktionen zum Einhalten der Klimaziele des Pariser Abkommens klar sind, ist die Lastenverteilung auf dem Weg zu diesen Zielen leider unklar“, sagt Nico Bauer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Hauptautor der Studie. „Die knifflige Frage lautet: Wie lässt sich ein Klimaziel unter Beachtung einer gerechten Lastenverteilung und geringen Kosten erreichen? Das bedeutet einen Kompromiss zwischen wirtschaftlicher Effizienz auf der einen Seite und nationaler Souveränität auf der anderen. Denn eine Entweder-oder-Lösung wäre ziemlich teuer: entweder riesige internationale Transfers oder höhere Kosten für alle.“
„Unsere Berechnungen zeigen, dass überraschend moderate Abweichungen von einer einheitlichen Kohlenstoffpreisgestaltung die erforderlichen Geldtransfers stark reduzieren können“, so Bauer. „Und moderate Finanztransfers können die Ineffizienz einer differenzierten Kohlenstoffpreisgestaltung stark reduzieren. Beide Politikinstrumente erweisen sich als nichtlinear: Kleine Änderungen können einen großen Unterschied machen.“
Nationale Souveränität und wirtschaftliche Effizienz
Obwohl eine weltweit einheitliche CO2-Bepreisung und der internationale Handel mit Emissionszertifikaten das Ziel der Klimastabilisierung zu den geringsten absoluten Kosten erreichen würden, würde das für Entwicklungsländer eine erhebliche Belastung darstellen. Um sie in ihren Bemühungen zu unterstützen, müssten die Industrieländer daher zahlen – was von den Zahlenden oft als Einschränkung der nationalen Souveränität empfunden wird. Alternativ dazu müssten wohlhabende Länder bei sich zu Hause strengere Maßnahmen ergreifen, um die Emissionen zu reduzieren, was die gesamtwirtschaftlichen Kosten erhöht. Die neue Studie zeigt, wie dieser Zielkonflikt gelöst werden kann.
Die Forschenden führten energie-ökonomische Computersimulationen durch, um alternative Politiken zu analysieren. Wenn die Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgase gerecht verteilt werden sollen, müssten bei Verzicht auf internationale Finanztransfers die CO2-Preise in den Industrieländern die Preise in den Entwicklungsländern um mehr als das Hundertfache übersteigen.
Wenn zum Beispiel im Jahr 2030 eine Tonne CO2 in Indien 19 US-Dollar kosten würde, müssten es in Europa fast 2500 US-Dollar sein, um weltweit die notwendigen Emissionsreduktionen zu erreichen. Dies würde innerhalb unseres Jahrhunderts weltweit zu Effizienzverlusten von mehr als 2000 Milliarden US-Dollar führen, so die Berechnungen. Wenn es dagegen einen international einheitlichen Kohlenstoffpreis gäbe – der im Jahr 2030 im Modell 56 US-Dollar pro Tonne CO2 erreichen würde – wären in unserem Jahrhundert Finanztransfers von mehr als 4000 Milliarden US-Dollar notwendig, um die Lasten zwischen reichen und armen Ländern auszugleichen. Diese Transfers gleichen die Unterschiede der relativen Einkommensverluste aus, die bei einem angenommenen einheitlichen Kohlenstoffpreis in Indien 3%, in Europa aber nur 0,3% betragen.
Gerechtigkeit wird hier definiert als eine gleichmäßige Verteilung der relativen Einkommensverluste zwischen den Ländern aufgrund der klimapolitischen Maßnahmen.
Warum sich Minderungskosten zwischen reichen und armen Ländern so stark unterscheiden
„Die Minderungskosten unterscheiden sich bei einheitlichen Kohlenstoffpreisen deshalb so stark, weil fortgeschrittene Volkswirtschaften bereits eine effizientere und sauberere Energienutzung haben und weniger abhängig von fossiler Energie sind als Entwicklungsländer. Daher können in den Entwicklungsländern kostengünstigere Möglichkeiten zur Emissionsminderung gefunden werden, aber die Realisierung der Emissionsminderung bringt auch schwerwiegendere Einkommensverluste mit sich,“ so Bauer. "Ein einheitlicher Kohlenstoffpreis, der globale Emissionsreduktionen zu niedrigsten Kosten ermöglicht, trifft daher weniger entwickelte Länder härter. Um Gerechtigkeit herzustellen, müssten die entwickelten Länder die Entwicklungsländer finanziell entschädigen, um die Unterschiede bei den Einkommensverlusten auszugleichen.“
„Wenn die entwickelten Länder um der Souveränität willen diese Art von Finanztransfers ablehnen, müssten ihre nationalen CO2-Preise zur Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit sehr hoch sein, um selbst stärkere Emissionsreduktionen zu erreichen“, erklärt der Forscher. „In den Industrieländern würde dies mehr Investitionen erfordern, weil in ihren bereits technologisch fortgeschrittenen Volkswirtschaften ein weiter beschleunigter Ausstieg aus fossilen Brennstoffen komplizierter und teurer ist. Daher treibt die Differenzierung der Kohlenstoffpreise die globalen Gesamtkosten in die Höhe.“
So führt jeder dieser üblichen Politikansätze zu hohen Kosten, was wiederum ein Hindernis für die Umsetzung der entsprechenden Klimapolitik ist. Dennoch zeigen die Berechnungen der Potsdamer Forschenden, dass mit nur einem Viertel des bei differenzierten CO2-Preisen eigentlich nötigen globalen Transfervolumens mehr als die Hälfte der zusätzlichen Kosten bei den globalen Vermeidungskosten eingespart werden könnte. Außerdem schrumpft die Spanne zwischen hohen und niedrigen CO2-Preisen der verschiedenen Länder um drei Viertel. Das heisst, dass der Zielkonflikt zwischen wirtschaftlicher Effizienz und Souveränität stark nicht-linear ist. Die extremen Folgen des Beharrens auf den Prinzipien von 'entweder wirtschaftlicher Effizienz oder Souveränität' können stark reduziert werden. Das Zulassen von Transfers verringert die Ineffizienz, während das Abweichen von einer einheitlichen Kohlenstoffpreisgestaltung die Notwendigkeit von Transfers verringert.
„Zukünftiger Wohlstand kann nur gesichert werden, wenn wir Klimarisiken mindern“
„Nun gibt es keine perfekte Lösung. Wenn wir sozioökonomische und technologische Unterschiede sowie etablierte politische Prinzipien anerkennen, sind differenzierte Kohlenstoffpreise in Verbindung mit moderaten Transferzahlungen von grundlegender Bedeutung für eine effektive und faire zukünftige Klimapolitik“, sagt Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Mitautor der Studie. „Jede ehrgeizige internationale Politik zur Reduzierung von Treibhausgasen muss drei Kriterien erfüllen, um für die Regierungen weltweit akzeptabel zu werden: Sie muss eine faire Verteilung der Anstrengungen, Kosteneffizienz und nationale Souveränität sicherstellen – was bedeutet, dass Finanztransfers begrenzt werden müssen. Unser Ansatz lotet den Spielraum aus, um einen akzeptablen Kompromiss für dieses Trilemma zu finden, insbesondere wenn es durch spezifische Energiepolitiken und internationale Technologietransfers ergänzt wird.“
„Unser Ziel ist es, den internationalen Wohlstand sowohl kurz- als auch langfristig zu sichern“, fügt Edenhofer hinzu, der auch das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change leitet und Professor an der Technischen Universität Berlin ist. „Kurzfristig würden die Finanztransfers – die zwar reduziert werden, aber natürlich immer noch erheblich sind – die reichen Länder nicht ruinieren. Sie könnten zwar in gewissem Maße die nationale Souveränität treffen, aber nicht der nationalen Wohlfahrt zuwiderlaufen, nämlich wenn sie dazu beitragen, sich auf Emissionsbegrenzungen zu einigen. Zukünftiger Wohlstand kann nur gesichert werden, wenn es uns gelingt, die Klimarisiken und Klimaschäden durch eine rasche Stabilisierung unseres Klimas zu verringern"
Artikel:
Nico Bauer, Christoph Bertram, Anselm Schultes, David Klein, Gunnar Luderer, Elmar Kriegler, Alexander Popp, Ottmar Edenhofer: Quantification of an efficiency–sovereignty trade-off in climate policy. Nature [DOI:10.1038/s41586-020-2982-5]
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