Erschienen in der Zeitschrift Universitas
(9/2007) und in gekürzter Form in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
(31.8.2007)
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Alles nur Klimahysterie?
Wie „Klimaskeptiker“ die Öffentlichkeit verschaukeln und wirksame Klimaschutzmaßnahmen verhindern
Wer bereits längere Zeit als Klimatologe tätig ist, der
fühlte sich in den letzten Monaten wie Stanislav Lems wackerer
Astronaut Ijon Tychy, der auf einer seiner abenteuerlichen Raumfahrten
in eine bizarre Zeitschleife geraten war.
Der Weltklimabericht des IPCC erscheint und warnt vor den Folgen unseres
Ausstoßes von Treibhausgasen – das hatten wir schon
1990. Die wissenschaftlichen Fakten rütteln Öffentlichkeit
und Politik auf. Die Staatschefs befassen sich mit dem Klimaproblem
und beschließen Gegenmaßnahmen. Sie verpflichten sich,
die Treibhausgaskonzentration der Erde auf einem Niveau zu stabilisieren,
das einen gefährlichen Klimawandel verhindert. Das ist die
Rio-Konferenz von 1992 und die Klimarahmenkonvention UNFCCC; unter den
Unterzeichnern ist auch George Bush Senior. Heute freuen wir uns,
wenn sein Sohn in Heiligendamm eine wesentlich unverbindlichere
Erklärung zum Klimaschutz mitträgt.
Was ist passiert - wieso sind wir in der Klimapolitik kaum vorangekommen
in den vergangenen 15 Jahren? Zur Erklärung brauchen wir nur
den Fernseher einzuschalten (etwa RTL am 11. Juni, ntv
am 7. Juli oder ARD am 9. Juli) und wir sehen Fred Singer,
der uns erklärt, dass der Klimawandel keinerlei Grund zur Besorgnis
ist. A propos Zeitschleife: War da nicht etwas? Ach ja – Singer
erklärte uns das Gleiche schon vor 15 Jahren, und seither immer
wieder. Nur ein unbedeutendes Detail hat sich geändert: bis
vor zwei Jahren behauptete Singer, es gäbe gar keine globale
Erwärmung, Satellitendaten würden das beweisen. Inzwischen
ist diese Argumentationslinie allzu unglaubwürdig geworden
(Satelliten
zeigen die gleiche Erwärmung wie Bodenstationen), und Singer
ist umgeschwenkt - sein neues Buch heißt jetzt Unstoppable
Global Warming Every 1500 Years. Jetzt wird es zwar wärmer,
aber wir sind nicht verantwortlich und können nichts dagegen
tun. Zuvor bestritt Singer schon den Zusammenhang zwischen FCKW
und dem Ozonloch. Und noch früher war er auf Seiten der Tabakindustrie
an
einer Expertise beteiligt, wonach Passivrauchen unschädlich
sei. Nach einer Studie
der Union of Concerned Scientists [1] arbeitet Singer seit vielen
Jahren für durch Exxon und andere Industrieunternehmen
finanzierte Organisationen wie das Science and Environmental
Policy Project (SEPP), deren Geschäft derartige Desinformation
ist. Dennoch wird uns Singer von RTL, ntv und
von Report München (siehe auch Abb. 1) als Klimaexperte
präsentiert – der Zuschauer soll glauben, Singer sei
ein Klimaforscher.
Abb. 1. „Kein Wissenschaftler sagt eine Überschwemmung
New Yorks voraus, das bleibt allein dem Politiker Al Gore vorbehalten
und den Klimahysterikern in Deutschland,“ so Report München
am 9. Juli. In Wahrheit zeigt eine 2001 publizierte Studie des NASA-Klimainstituts
in New York einen dramatischen Anstieg der Sturmflutrisiken für
die Stadt aufgrund des steigenden Meeresspiegels [12]. New York
denkt daher längst ernsthaft über drei Sturmflutbarrieren
nach (siehe Karte). Die jüngsten Gespräche dazu fanden
am 8. Mai im Büro von Bürgermeister Bloomberg statt. (Quelle:
Storm Surge Research Group,
Stony Brook University, New York.)
Eine Studie von Sozialwissenschaftlern aus Chicago und Helsinki
kam 2003 zum Schluss, dass derartige von der Industrie finanzierte
Lobbytätigkeit maßgeblich zur Wende in der US-Klimapolitik
in den 1990er Jahren und zur Abkehr der USA vom Kyoto-Protokoll
beigetragen hat [2]. Dabei verwundert kaum, dass es derartige Lobbyorganisationen
gibt. Schwerer zu verstehen ist aber, dass deutsche Medien immer
wieder willfährig die Desinformation verbreiten, die von diesen
Gruppen gestreut wird. In dem RTL-Film Der Klimaschwindel
traten neben Singer auch Gerd-Rainer Weber (langjährig tätig
für den Gesamtverband des Deutschen Steinkohlebergbaus) sowie
etliche weitere Angehörige von Lobbyorganisationen auf, ohne
dass dies für die Zuschauer erkennbar war.
Dementsprechend lernten wir in diesem Film, dass Vulkane viel mehr
CO2 ausstoßen als menschliche Aktivitäten (in Wahrheit
sind die anthropogenen Emissionen etwa 50-mal mal höher als
die aus Vulkanen), und dass der Ozean mehr CO2 abgibt als der Mensch
(in Wahrheit hat der Ozean etwa 30% unserer CO2-Emissionen aufgenommen,
auch im Meerwasser steigt die CO2-Konzentration seit Jahrzehnten
an [3]). Dieselben Falschaussagen tauchen seit vielen Jahren regelmäßig
in den Medien auf.
Abnehmen durch Ausatmen
Origineller war da schon ein Beitrag
von Christian Bartsch in der FAZ (27. März), wonach
der Mensch täglich 10 kg CO2 ausatme - dadurch werde mehr CO2
frei als durch alle Autos der Welt. Ein guter Tipp zum Abnehmen:
einfach einen Tag lang nichts essen und 10 kg CO2 ausatmen! Aber
im Ernst: selbst wenn die Zahl gestimmt hätte (in Wahrheit
ist es nur 1 kg – die FAZ hat die Zahl inzwischen
in der online-Ausgabe korrigiert), sie ist natürlich irrelevant.
Mensch und Tiere atmen nur das CO2 aus, das zuvor durch Photosynthese
aus der Atmosphäre entnommen wurde und das ohnehin in sie zurückgekehrt
wäre – ob wir die Pflanzen essen oder einfach verrotten
lassen ist egal. Der biologische Kohlenstoffkreislauf ist geschlossen.
Deshalb war die CO2-Konzentration der Atmosphäre Jahrtausende
lang praktisch konstant und steigt erst an, seit wir dem System
riesige Mengen an zusätzlichem Kohlenstoff aus fossilen Lagerstätten
hinzufügen. Sie steigt übrigens nicht einmal so schnell
an, wie es unsere Emissionen erwarten ließen: in der Atmosphäre
finden sich nur noch 57% des fossilen Kohlenstoffs, den wir hinzugefügt
haben. Der Rest ist zum großen Teil im Ozean gelandet, siehe
oben.
Die IPCC-Autoren nennt Bartsch „Wissenschaftler“ –
in Anführungszeichen. Und über den IPCC-Bericht schreibt
er: „Es ist auch nicht ein einziger Ansatz zu erkennen, dass
die Mitglieder dieser Gruppe die Klimaänderungen der vergangenen
Jahrtausende angesehen, geschweige denn nach einem Verständnis
gesucht hätten.“ Das von 16 international führenden
Paläoklimatologen verfasste 65-seitige IPCC-Kapitel
zu den Klimaveränderungen der Erdgeschichte hat Bartsch wohl
übersehen.
Klimaschutz ist für ihn „die schlimmste Selbstverstümmelung,
die Menschen sich ausdenken konnten“, er führt zur „Verarmung
der Industrieländer“ und wird „unweigerlich in
eine weltumspannende Klimadiktatur münden“. Überschrieben
war der Artikel übrigens „Mehr Licht im Dunkel des Klimawandels“.
Die „Klimaskeptiker“
Die Medienaktivitäten solcher „Klimaskeptiker“
begleiten mich, seit ich vor 20 Jahren von der relativistischen
Physik in die Klimaforschung gewechselt bin. Dabei ist der gebräuchliche
Begriff „Klimaskeptiker“ eigentlich unzutreffend. Wer
einmal versucht hat, sachlich mit „Klimaskeptikern“
zu diskutieren, der weiß, dass sie keineswegs einen gesunden
Skeptizismus pflegen, sich also (wie die meisten Wissenschaftler)
nur durch gute Belege von etwas überzeugen lassen. Im Gegenteil:
ähnlich wie Kreationisten haben sie eine festgefahrene Meinung
zum Thema, die sich durch kein Sachargument erschüttern lässt.
Sie klammern sich an jeden argumentativen Strohalm, mit dem sich
das Klimaproblem verleugnen und die Öffentlichkeit verwirren
lässt.
Ein Medienprofi solcher Vernebelung zum Klimathema ist seit vielen
Jahren der Journalist Dirk Maxeiner, der auch mal über angebliche
Ergebnisse eines fiktiven Forschungsinstituts berichtet - Hauptsache
sie besagen, dass CO2 das Klima kaum beeinflusst [4]. Kürzlich
schrieb er z.B. in der Zeitschrift Cicero (Juni
2007): „Für eine dominierende Rolle des Kohlendioxids
im aktuellen Klimageschehen gibt es keinen direkten Beweis, sondern
nur eine indirekte Herleitung: Man glaubt alle anderen Ursachen
für die in den vergangenen 30 Jahren beobachtete Erderwärmung
ausschließen zu können. CO2 bleibt derzeit nach Meinung
der meisten Klimaforscher als einziger Tatverdächtiger übrig.“
Das ist falsch. Erstens ist die physikalische Wirkung von CO2 durch
den Treibhauseffekt seit dem 19. Jahrhundert belegt und unumstritten
– schon eine einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass
die beobachtete Erwärmung gerade dem entspricht, was man aus
physikalischen Gründen durch den anthropogenen Einfluss auf
das Klima erwartet. Maxeiners Argument ist etwa so, als würde
man den Herd unter einem Topf Wasser einschalten, das Wasser erwärmt
sich so schnell, wie es der Heizleistung des Herdes entspricht,
und dann behauptet man, dies nur durch Ausschluss anderer Ursachen
auf den Herd zurückführen zu können. Zweitens kann
man aber auch anhand der räumlichen Muster in den Messdaten
die verschiedenen Ursachen von Klimaveränderungen auseinander
halten - die sogenannte „Fingerabruck-Methode“, die
ausführlich im IPCC-Bericht
erläutert wird. Im Bild des Kochtopfs: Analyse der Temperaturverteilung
im Topf würde zeigen, dass die Wärme von unten kommt,
und nicht etwa von oben, wo die Sonne auf den Topf scheint. Damit
wurde statistisch hoch signifikant nachgewiesen, dass die Erwärmung
durch anthropogene Faktoren verursacht wurde, und nicht etwa durch
interne Klimavariabilität oder natürliche Antriebe wie
die Sonne oder Vulkanismus. Dies ist in vielen Studien übrigens
nicht nur für die Temperaturveränderungen belegt worden,
sondern auch für die Luftdruckveränderungen, die Zunahme
der Wärmemenge in den Ozeanen, die Änderung der Niederschlagsverteilung
und andere gemessene Klimatrends.
Weiter behauptet Maxeiner: „Der beobachtete globale Erwärmungstrend
der vergangenen Dekaden verläuft bis dato ziemlich gleichmäßig
und linear – und nicht exponentiell. Er bewegt sich damit
seit drei Jahrzehnten im unteren Bereich der von Klimamodellen für
die Zukunft prognostizierten Werte.“ Der erste Satz ist eine
klassische Irreführung, ohne direkt etwas Falsches zu sagen.
Der Leser soll denken: wenn die CO2-Konzentration exponentiell ansteigt,
dann sollte die Temperatur dies auch tun, also stimmt etwas nicht.
Doch der CO2-Effekt ist logarithmisch (wie Maxeiner weiß,
denn er schreibt es später selbst), sodass ein exponentieller
CO2-Anstieg zu einem linearen Temperaturanstieg führt. Der
zweite Teil des obigen Zitats ist schlicht falsch: ein Vergleich
der Messdaten mit den Modellszenarien zeigt, dass der beobachtete
Verlauf im oberen Bereich der Szenarien liegt, siehe Abb. 2.
Abb. 2. Globale Temperaturentwicklung der letzten Jahrzehnte.
Punkte zeigen die Jahreswerte (Rote Quadrate: NASA-Datensatz, blaue
Kreise: Hadley Centre), die dicken Linien den Trend der beiden Datensätze
über 7 Jahre geglättet. Die graue Spanne zeigt zum Vergleich
die Projektionen der Klimamodelle ab dem Jahr 1990 aus dem letzten
IPCC-Bericht. (Quelle: nach [13]).
Noch einmal Maxeiner: „97 Prozent der jährlichen Kohlendioxidemissionen
entstammen der Natur, etwa drei Prozent aus der Verbrennung fossiler
Rohstoffe durch den Menschen.“ Auch dies ist eine klassische,
seit vielen Jahren immer wieder benutzte Irreführung der Laien.
Hier werden Umsatz mit Gewinn verglichen, nämlich der natürliche
CO2-Umsatz der Biosphäre von ca. 770 Milliarden Tonnen pro
Jahr (der aber keine netto-Emission darstellt, sondern einen geschlossenen
Kreislauf) mit den anthropogenen Emissionen, die dem System netto
jedes Jahr 22 Milliarden Tonnen CO2 aus fossilen Quellen hinzufügen.
Die Qualitätskontrolle der Medien versagt
Wenn ein Redakteur derartige, vor Tatsachenverdrehungen und Falschaussagen
wimmelnde Artikel abdruckt, dann liegt ein Versagen der redaktionellen
Qualitätssicherung vor. Wenn ein Journalist einen Artikel einreicht,
der das Gegenteil dessen behauptet, was Stand der Wissenschaft ist
– hat die Redaktion dann nicht die Verantwortung, kritisch
zu prüfen, ob die Fakten überhaupt stimmen? Laut Pressekodex
sind die obersten Gebote der Medien die Wahrhaftigkeit und sorgfältige
Recherche. Doch die reale Medienwelt funktioniert anders. Der für
den Abdruck der fehlerhaften Aussagen verantwortliche Cicero-Redakteur
Wolfram Weimer wurde sogar von Maybrit Illner in ihre Talkshow eingeladen
(5.7.2007). Ein Klimatologe war bei dieser Fernsehdiskussion zum
Klimawandel nicht dabei. Die Medien schätzen Menschen, die
provokante Aussagen machen, auch wenn sie unbelastet von jeder Sachkenntnis
sind. Jemanden einzuladen, der sich über viele Jahre wissenschaftlicher
Beschäftigung mit einem Thema eine solide Reputation erarbeitet
hat, ist dagegen vergleichsweise uninteressant, weil dessen Aussagen
nicht kontrovers wären.
Mangels Sachargumenten diffamieren die „Klimaskeptiker“
uns Klimaforscher zunehmend schriller als „Klimapropagandisten“
(Maxeiner) oder als „Klimahysteriker“ (Günter Ederer
in Report). Der Leiter des Vorstandsbüros der ZEIT-Stiftung,
Philipp-Christian Wachs, verglich uns bei einer Veranstaltung (ZEIT-Forum,
14.5.2007) mit „Öko-Blockwarten“. Danach schockierte
er die Zuhörer mit der Behauptung, „dass eine amerikanische
Fachzeitschrift gegen Zweifler allen Ernstes „Verfahren im
Stil der Nürnberger Prozesse“ fordert.“ Eine „Fachzeitschrift“:
hier sollte dem Wissenschaftsbetrieb eine Intoleranz angekreidet
werden, die in der Tat unerträglich wäre – wenn
es denn gestimmt hätte. Die Aussage stammte jedoch von einem
Journalisten im Internetmagazin Grist
(der sie übrigens sehr schnell öffentlich zurückgenommen
hat). Nicht zum ersten Mal werden die Übertreibungen der Medien
der Wissenschaft angelastet.
Häufig sollen die Ergebnisse der Klimaforschung auch mit der
Behauptung diskreditiert werden, die IPCC-Berichte seien politisch
beeinflusst. So schrieb etwa Wolf Lotter in der Zeitschrift brand
eins (März 2007), „der Konsens der redlich bemühten
Wissenschaftler“ werde anschließend „von Politikern
und Lobbyisten in politisch handelbare Ware umgeschrieben“
– erst daraus entstünden dann die dramatischen Meldungen
der „Apokalypse-Medien“.
Die Vorstellung, dass die Regierungsvertreter etwa aus China, den
USA und Saudi Arabien sich den IPCC-Bericht vornehmen und unsere
wissenschaftlichen Aussagen aufpeppen und dramatisieren wird bei
jedem, der etwas von Politik versteht oder (wie ich) bei der Sitzung
mit den Regierungsvertretern dabei war, große Heiterkeit auslösen.
Man kann sich durch Vergleich der von den Regierungsvertretern verabschiedeten
Endfassung mit den ursprünglichen Entwurfsfassungen
der Wissenschaftler (die ebenfalls auf der IPCC-Webseite frei
zugänglich sind) leicht überzeugen, wie unsinnig diese
Vorstellung ist. Dass all diese Regierungen mit den unterschiedlichsten
Interessenlagen die Zusammenfassung des IPCC-Berichts Satz für
Satz einstimmig verabschiedet haben ist nur deshalb möglich,
weil an den enthaltenen wissenschaftlichen Ergebnissen beim besten
Willen nicht zu rütteln ist – die Bush-Administration
hätte dem Bericht sonst wohl kaum zugestimmt.
Weiter soll der IPCC-Konsens durch Unterschriftensammlungen oder
Umfragen unter Wissenschaftlern in Frage gestellt werden - eine
von den Kreationisten bekannte Technik. Schon 1995 präsentierte
Fred Singer die „Leipziger Erklärung“, die angeblich
von 100 Klimatologen unterzeichnet war, und die noch in einer 2005
revidierten Fassung
behauptete: „In fact, many climate specialists now agree that
actual observations from weather satellites show no global warming
whatsoever.“ Nachprüfung
ergab: fast keiner der Unterzeichner war tatsächlich Klimatologe.
Und in letzter Zeit liest man häufig von einer Umfrage von
Dennis Bray und Hans von Storch, wonach nur die Hälfte der
Klimatologen den menschlichen Einfluss auf das Klima für belegt
halten soll. Auch bei dieser Umfrage gab es aber keinerlei Kontrolle,
ob die Teilnehmer überhaupt Klimatologen waren, oder ob einzelne
sich mehrfach zählen ließen. Jeder, der ein Passwort
kannte, konnte im Internet den Fragebogen ausfüllen. In den
Netzwerken der „Klimaskeptiker“ wurde das Passwort verbreitet
und zur massenhaften Teilnahme aufgerufen [5].
Die Ergebnisse sind daher praktisch wertlos und ihre Publikation
wurde von mindestens zwei Fachzeitschriften abgelehnt. Sie wurden
stattdessen über die Medien, das Internet und Lobbygruppen
wie das Heartland Institute
verbreitet.
„Das Klima hat sich schon immer geändert“
Ein Newcomer unter den „Klimaskeptikern“ ist der Zukunftsforscher
Matthias Horx, der in einem Welt-Essay
(13. März 2007) das alte Argument vorbringt: „das Klima
hat sich schon immer geändert“. Das stimmt, aber die
Fakten von Horx stimmen großenteils nicht oder sind irreführend
dargestellt. So schreibt er, vor 500 Millionen Jahren habe die CO2-Konzentration
sensationelle 28% betragen (tatsächlich waren es 0,7%), und
vor 300.000 Jahren sei die Sauerstoffkonzentration 30% gewesen (in
Wahrheit ist das tausendmal länger her).
Dann behauptet er: "Mindestens viermal in der Urgeschichte
kam es zu ausgedehnten Wärmeperioden. Vor 400.000 Jahren dauerte
die "Global Warming"-Phase 30.000 Jahre". Hier spricht
Horx von den vier Warmphasen (Interglazialen), die in den letzten
400.000 Jahren zwischen den Eiszeiten aufgetreten sind. In einem
solchen Interglazial, nämlich dem Holozän, leben wir seit
dem Ende der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren. Horx suggeriert
aber, diese "Wärmeperioden" seien wärmer als
das heutige Klima gewesen, und ein "global warming", wie
die Erde es derzeit erlebt, sei etwas ganz Normales. Die Klimadaten
geben dies allerdings nicht her: sie legen im Gegenteil nahe, dass
die globale Durchschnittstemperatur in den vorherigen Interglazialen
der im Holozän vergleichbar war. Am besten belegt ist dies
für die letzte Warmzeit vor 120.000 Jahren, das Eem. Damals
war es in der Arktis zwar mehrere Grad wärmer als heute (und
der Meeresspiegel wegen der kleineren Eisschilde 4-6 Meter höher),
die globale Mitteltemperatur war aber nach gegenwärtigem Wissensstand
nicht spürbar wärmer. Dies liegt an der Ursache dieser
Warmphasen, den Erdbahnzyklen, die die Sonneneinstrahlung zwar umverteilen
(im Eem wesentlich mehr Sommersonne in der Arktis) aber eben nicht
global erhöhen.
Im nächsten Satz behauptet Horx: "Auch in den letzten
3,5 Millionen Jahren taute die Antarktis, wie der Jenaer Geowissenschaftler
Lothar Viereck-Götte anhand von Bohrkernen herausfand, mehrmals
auf und wieder zu."
Eine wissenschaftliche Sensation – wenn es denn stimmen würde.
Viereck-Götte sagt dazu nur lapidar, Horx habe seine „Ergebnisse
falsch dargestellt“. Tatsächlich zeigen seine Daten lediglich,
dass an einer Stelle der Antarktis ein bestimmtes Eisschelf mehrfach
vorgestoßen und wieder zurückgegangen ist. Ein unspektakuläres
Stück Routinearbeit der Klimawissenschaften, das Horx zur Beförderung
seiner Thesen zum „Abtauen der Antarktis“ aufbauscht.
Horx rechtfertigte seinen Fehler mir gegenüber damit, er habe
diese Information aus den Medien übernommen. Hier stellt sich
die Frage: ist der nach Pressekodex erforderlichen “sorgfältigen
Recherche“ damit Genüge getan, dass man aus anderen Zeitungsartikeln
etwas abschreibt? Oder sollten fünf Minuten investiert werden,
um die Originalquelle zu prüfen? Ohne eine solche Überprüfung
setzen sich Fehler über Jahrzehnte immer weiter fort, wie der
oben genannte Mythos, Vulkane würden mehr CO2 ausstoßen
als der Mensch. Die Essenz von Horx’ Artikel ist ja gerade,
dass die auf mehr als einem Jahrhundert sorgfältigster Forschung
beruhenden Aussagen der Klimatologen nicht zuverlässig seien.
Da verwundert es schon, dass Horx offenbar nicht einige Minuten
zu investieren bereit ist, um die Zuverlässigkeit seiner eigenen
Aussagen zu prüfen.
Am Ende bringt Horx sogar das ebenso alte wie falsche Argument,
das Klima ließe sich nicht voraussagen, weil wir „nicht
einmal Regen und Sonnenschein für Kleindettelhausen in 7 Tagen”
vorhersagen könnten. Ich weiß nicht, ob Horx selbst nicht
zwischen Wetter und Klima unterscheiden kann, oder ob er einfach
nur hofft, dass seine Leser dies nicht können. Egal –
um zu einem Interview mit Maybrit Illner und in diverse Talkshows
geladen zu werden, hat das Sammelsurium von Falschaussagen gereicht.
Dabei hätte Horx sein Argument „das Klima hat sich schon
immer verändert“ mühelos auch mit korrekten Fakten
illustrieren können. Unser Taschenbuch „Der Klimawandel“
[6] gibt im ersten Kapitel einen Überblick
über die natürlichen Klimaveränderungen der Erdgeschichte,
und auch der neue IPCC-Bericht diskutiert sie ausführlich.
Nur taugt dieses Argument nicht, um die Verursachung des aktuellen
Klimawandels durch den Menschen in Frage zu stellen. Wenn die Polizei
einen Brand untersucht und handfeste Beweise für Brandstiftung
vorlegt, könnte man diese auch kaum mit dem Argument entkräften:
Feuer hat es auch schon gegeben, bevor es Menschen gab.
Auch um das Ausmaß des CO2-bedingten Klimawandels herunterzuspielen,
eignet sich Horx’ Argument nicht. Die starken Klimaschwankungen
der Erdgeschichte belegen vor allem, wie empfindlich das Klimasystem
ist. Die Daten der Klimageschichte werden genutzt (u.a. in meiner
Arbeitsgruppe [7]), um quantitativ zu bestimmen,
wie sensibel das System in der Vergangenheit auf bestimmte Störungen
des Strahlungshaushalts reagiert hat – diese „Klimasensitivität“
ist die entscheidende Kenngröße des Klimasystems, die
bestimmt, wie stark die Reaktion auf die von uns verursachte Erhöhung
der Treibhausgaskonzentration ausfallen wird. Dabei gilt natürlich:
je stärker vergangene Klimaschwankungen, desto stärker
auch die Reaktion auf unsere CO2-Emissionen.
Letztlich eignet sich Horx’ Argument auch nicht, um die Folgen
des Klimawandels zu verharmlosen. Man denke nur an das Pliozän
vor 3 Millionen Jahren, als es das letzte Mal global deutlich wärmer
war als derzeit, nämlich 2 -3 ºC. Der Meeresspiegel war
15-25 Meter höher, da das wärmere Klima auch zu kleineren
Kontinentaleismassen führte. Es wäre höchst alarmierend,
wenn Horx’ Falschmeldung über die Antarktis gestimmt
hätte – der Eisschild, dessen Masse insgesamt zu einer
Erhöhung des globalen Meeresspiegels um 57 Meter ausreichen
würde, wäre dann viel instabiler, als wir Klimatologen
bislang annehmen. Zur Entwarnung, wie von Horx intendiert, kann
diese Nachricht wohl kaum dienen.
Falsche Klimakurven in der Schule
Auch unsere Schüler werden zunehmend der Desinformation der
„Klimaskeptiker“ ausgesetzt. Der Freiburger Gymnasiallehrer
Ernst-Georg Beck betreibt seit Jahren die „Skeptiker“-Webseite
biokurs.de, auf der
er verfälschte Klimagrafiken für Unterrichtszwecke verbreitet.
Unter anderem zeigt er dort eine alte
Klimakurve aus den 1980’er Jahren für das letzte
Jahrtausend, bei der er den Temperaturverlauf von 1970 bis 2000
selbst hinzugefügt hat – und zwar völlig flach,
die starke Klimaerwärmung der letzten Jahrzehnte wird unterschlagen.
So wird der falsche Eindruck erweckt, es sei im Mittelalter wärmer
gewesen als derzeit - eine Variante eines alten „Skeptiker“-Tricks.
Außerdem hat Beck die ursprüngliche Temperaturskala der
Kurve so verändert, dass die vergangenen Temperaturschwankungen
um mehr als das Dreifache übertrieben werden.
Mit einer anderen irreführenden
Kurve versucht Beck zu zeigen, dass die gegenwärtige Erwärmung
in einen natürlichen Zyklus passt – dies erreicht er,
indem er die Zeitachse geschickt unterbricht, einige hundert Jahre
unterschlägt und die Skala mittendrin verändert. Ohne
diese Manipulationen würde seine Grafik zeigen, dass wir jetzt
in einer Kaltphase sein müssten. Ein Forstingenieur, der Becks
Schuldirektor auf die Verfälschungen aufmerksam machte, wurde
daraufhin Opfer einer massiven Mobbing-Kampagne seitens der „Klimaskeptiker“.
Beleidigende Faxe wurden an 14 seiner Arbeitskollegen gesandt. Professor
Gerhard Gerlich (TU Braunschweig), der den Treibhauseffekt einen
„fiktiven Mechanismus“ nennt und CO2 für „vollkommen
irrelevant“ hält, drohte ihm gar mit einem „Disziplinarverfahren“.
Mehrere Schulbehörden empfehlen übrigens Becks Webseite
für den Unterricht. Ähnliche Desinformation zum Klima
bietet auch die Seite schulphysik.de.
Der Fall Reichholf
Mit falschen und irreführenden Klimakurven arbeitet auch Josef
Reichholf, dessen Buch Eine kurze Naturgeschichte des letzten
Jahrtausends derzeit in vielen Buchläden ausliegt. Die
Kernthese des Buches ist, dass die Klimaentwicklung im letzten Jahrtausend
wesentlich unsere Geschichte geprägt hat. Überraschenderweise
erfährt man jedoch praktisch nichts über den wissenschaftlichen
Kenntnisstand zu dieser Klimaentwicklung. In der Fachliteratur gibt
es inzwischen ein
Dutzend Rekonstruktionen des Klimaverlaufs auf der Nordhemisphäre
über diese Zeit, die auf den Daten aus Baumringen, Korallen,
Eisbohrkernen, Sedimenten und der Gletscherausdehnung beruhen. Sie
alle sind im neuen IPCC-Bericht diskutiert. Bei Reichholf werden
diese Studien gar nicht erwähnt. Er diskutiert zwar, dass historische
Ereignisse wie die Vorstöße der Mongolen wohl mit bestimmten
Klimabedingungen zusammenhängen müssten – auf eine
Überprüfung dieser Hypothese anhand von Klimadaten wartet
der Leser jedoch vergeblich. Dafür liefert Reichholf reichlich
Belege für sein Unverständnis elementarer Zusammenhänge
im Klimasystem, z.B. wenn er über die Eiszeiten schreibt: „Die
Niederschläge hatten global stark abgenommen, weil so viel
Wasser an beiden Polen in Eis gebunden war.“
Ausführlich wird die Geschichte der Landverluste durch Sturmfluten
an der Nordsee behandelt – aber ohne deren Ursache zu erwähnen,
die nacheiszeitliche Landabsenkung um über 1 mm/Jahr [8].
Nach seinem Credo „warm ist gut“ führt Reichholf
diese Landverluste stattdessen auf das schlechte Wetter während
der „kleinen Eiszeit“ zurück. Dass einige der verheerendsten
Fluten, z.B. die Julianenflut 1164 und die Marcellusflut 1219, während
der mittelalterlichen Warmphase stattfanden, stört ihn dabei
nicht.
Die einzige scheinbare Klimakurve des letzten Jahrtausends findet
man auf Seite 231. Dort steht eine Grafik mit der Überschrift
„Sonnenaktivität und Klima über das letzte Jahrtausend“.
Man wundert sich, dass nur eine Kurve gezeigt ist, und nicht eine
Klima- und eine Sonnenkurve verglichen werden. Die Achsenbeschriftung
lautet „Wärme-Index“, und in der Bildunterschrift
liest man, dass die "Klimaerwärmung gerade das angenommene
Niveau des Hochmittelalters erreicht".
Schaut man bei der angegeben Quelle nach (wie bei Reichholf üblich
ein populärwissenschaftlicher Artikel, keine Originalquelle)
stellt man fest: es handelt sich um C14-Daten aus Baumringen, die
Rückschlüsse auf die vergangene Sonnenaktivität erlauben.
Doch Reichholf hat die Kurve verändert: im Original reichen
die Daten bis 1955, bei Reichholf ist dieselbe Kurve so gestreckt,
dass sie bis zum Jahr 2000 reicht. Dies ist nicht unwichtig: bekanntlich
hat die Sonnenaktivität seit 1955 nicht zugenommen,
weshalb sie nicht an der aktuellen Erwärmung beteiligt sein
kann. Bei Reichholf sieht es dagegen so aus, als habe die Sonnenaktivität
bis 2000 deutlich zugenommen.
Zudem wird den Lesern nahegelegt, es handele sich um eine Temperaturkurve.
Wie oben erwähnt, zeigen aber alle Temperaturkurven, dass es
heute auf der Nordhalbkugel deutlich wärmer ist als im Mittelalter
– obwohl die Sonnenaktivität nicht höher ist. Da
Sonnenaktivität und Temperatur im letzten Jahrtausend gut korrelieren,
ist gerade der gegenläufige Trend von beiden in den letzten
Jahrzehnten wichtig. Was von Reichholf suggeriert wird, ist das
Gegenteil dessen, was Stand der Klimaforschung ist. Im Text behauptet
Reichholf sogar, dass "der Erwärmungstrend seit der Jahrtausendwende
zumindest gestoppt, wenn nicht sogar etwas rückläufig"
sei – wohl kaum eine seriöse Beschreibung der Messdaten
(Abb. 2). Die Monate Januar und April 2007 waren übrigens global
die wärmsten
seit Beginn der Aufzeichnungen.
Ähnliches trifft auch auf sein eigenes Fachgebiet zu. Viele
Biologen erforschen detailliert die Auswirkungen des Klimawandels
auf Tier- und Pflanzenarten. Sie kommen überwältigend
zu dem Schluss, dass die globale Erwärmung in Zukunft zu einer
massiven Gefährdung der Artenvielfalt führen wird. Dies
spiegelt sich auch in den durch die Biologen erarbeiteten Übersichtsberichten
wie dem Millennium Ecosystem Assessment [9]
oder dem IPCC-Bericht, an denen jeweils über tausend Experten
jahrelang gearbeitet haben. Reichholf behauptet nun in den Medien
einfach das Gegenteil, ohne jedoch in der Fachliteratur selbst dazu
etwas publiziert zu haben. Ein Blick in die Standard-Datenbank,
die alle Artikel aus mehr als 14.000 Fachzeitschriften erfasst,
zeigt: Reichholf hat zuletzt 1991 überhaupt etwas in der begutachteten
Fachliteratur veröffentlicht, als dritter Autor eines Artikels
über das Eichhörnchen, der seither ganze zwei mal zitiert
worden ist. Es gehört zum guten Stil seriöser Wissenschaftler,
sich nicht mit Thesen an ein Laienpublikum zu wenden, die man nicht
zuvor in der begutachteten Fachliteratur publiziert und damit Fachkollegen
zur kritischen Diskussion gestellt hat.
Eine weitere falsche Kurve findet sich in einem Reichholf-Aufsatz
im Buch Die Zukunft der Erde. Er zeigt dort den Temperaturverlauf
in Mitteleuropa nach den Wetterstationen Basel, Utrecht, Potsdam
und Wien – die bekannte „Baur’sche Reihe“.
Nach Reichholfs Abbildung liegen die Frühjahr/Sommer-Temperaturen
heute niedriger als im Jahr 1760, sie zeigen insgesamt einen Abkühlungstrend,
und zwischen 1960 und 2000 haben sie sogar um 1 ºC abgenommen.
Nicht nur Klimatologen dürfte dies seltsam vorkommen. Trotz
ausführlicher Korrespondenz konnte Reichholf die Entstehung
dieser Kurve nicht nachvollziehbar erklären. Sie beruhe auf
einer Tabelle in einem Buch aus dem Jahr 1982, ergänzt durch
neuere Daten vom Hohenpeißenberg. Auf meine Frage, wieso Reichholf
den Hohenpeißenberg benutze und nicht einfach durchgehend
die gleichen Stationen zeige, antwortete er mir, dies sei ihm „zu
zeitaufwändig“ gewesen. Der korrekte Verlauf der Baur’schen
Reihe ist in Abb. 3 gezeigt – sie ähnelt in keiner Weise
der Reichholf’schen Grafik.
Der Fall Reichholf ist insofern interessant, als er als Professor
der TU München den Regeln
der „guten wissenschaftlichen Praxis“; verpflichtet
ist, die „Verfälschungen von Daten und Quellen“
verbieten und zur Arbeit lege artis verpflichten. Ansonsten zeigt
der Fall nochmals die schon erwähnte Liebe der Medien zu provokanten
aber haltlosen Behauptungen statt zu solider Arbeit: Reichholf wurde
u.a. mit Interviews in Spiegel und Focus belohnt.
Abb. 3. Temperaturverlauf in Mitteleuropa im Frühjahr/Sommer
als Mittelwert der Wetterstationen Basel, Potsdam, Utrecht und Wien,
bekannt als Baur’sche Reihe. Die Punkte zeigen jährliche
Werte, die dicke Linie den nicht-linearen Trend (geglättet
über 20 Jahre). Der Biologe Josef Reichholf behauptet dagegen,
die Frühjahr/Sommer-Temperaturen in Mitteleuropa hätten
seit 1960 um etwa 1 ºC abgenommen und lägen heute noch
unter dem Wert des Jahres 1760. Angeblich beruht seine Kurve auf
denselben Wetterstationen.
Werden Fehler korrigiert?
Wenn Falsches publiziert wurde, wird es korrigiert? Dies verlangt
nicht nur der Pressekodex sondern auch die intellektuelle Redlichkeit.
Im Dezember 2006 regte ich Reichholf gegenüber an, seine falsche
Darstellung der Baur’schen Reihe zu korrigieren. Auch Horx
fragte ich im Mai 2007, ob er seine falschen Aussagen nicht richtig
stellen wolle. Beide haben darauf nicht reagiert. Beide haben übrigens
neue Bücher auf dem Markt, die es durch Medienaufmerksamkeit
zu verkaufen gilt.
Auch die Welt-Redaktion bat ich um eine Korrektur, nachdem
das Blatt (21.3.) geschrieben
hatte: "Die Sicherheit über den Anteil der Menschheit
an der Erwärmung ist auch im neuesten Klimabericht gar nicht
höher ausgewiesen als im letzten von 2001. Reklamiert wird
nach wie vor eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit. Auch wenn in
sämtlichen Pressekonferenzen und vor allem den Medien unisono
von einer 90-prozentigen Sicherheit die Rede war." Man muss
nur im IPCC-Bericht nachsehen: dort ist schon in der Zusammenfassung deutlich
hervorgehoben, dass wir heute 90% sicher sind, und dass dies ein
wichtiger Unterschied zum letzten Bericht ist. Mein Vorschlag, die
falsche Aussage zu korrigieren, löste in der Welt-Redaktion
„Befremden“ aus. Sie könne sich doch nicht „von
den eigenen Autoren distanzieren“, schrieb mir die stellvertretende
Chefredakteurin Andrea Seibel. Der Autor des betreffenden Beitrags,
Uli Kulke, fällt übrigens immer wieder durch falsche Aussagen
auf, mit denen der Klimawandel heruntergespielt werden soll.
In der FAZ dagegen korrigierte Wissenschaftsredakteur Christian
Schwägerl eine Woche später in einem eigenen
Artikel wesentliche Falschaussagen des oben zitierten Beitrags
von Christian Bartsch, auch wenn dies nicht explizit als Korrektur
deklariert war. Allerdings durfte Bartsch am 24. Juli nochmals mit
weiteren Falschaussagen
nachlegen.
Kritisiert man als Wissenschaftler faktische Fehler in den Medien,
dann kommt meist der Vorwurf, man wolle eine Diskussion und abweichende
Meinungen unterdrücken. Kein Wissenschaftler hat etwas gegen
kontroverse Diskussionen, sie gehören zum Alltag der Wissenschaft
und machen gerade einen guten Teil des Spaßes an der Forschung
aus. Der Klimawandel wird von uns auf Konferenzen und in den Fachzeitschriften
seit Jahrzehnten in allen Facetten kontrovers diskutiert –
gerade aus diesem lebhaften Diskussionsprozess hat sich ja allmählich
der Konsens über wesentliche Punkte herausgebildet. Andere
Punkte sind in der Fachwelt nach wie vor umstritten – etwa
der Einfluss der globalen Erwärmung auf die Stärke tropischer
Wirbelstürme, das Ausmaß des künftigen Meeresspiegelanstiegs
oder die Stabilität der Kontinentaleismassen. Doch bringt eine
Diskussion nur dann Erkenntnisgewinn, wenn sie intellektuell redlich
und auf Basis korrekter Fakten geführt wird. Dies unterscheidet
fundamental die in den Medien geführten Scheinkontroversen
von den Diskussionen unter seriösen Wissenschaftlern.
Fazit
In unseren Medien wird nach wie vor regelmäßig der vom
Menschen verursachte Klimawandel in Zweifel gezogen – was
auch völlig in Ordnung wäre, wenn dies mit korrekten und
seriösen Argumenten geschähe. Die ehrlichen Argumente
sind den „Klimaskeptikern“ aber längst ausgegangen.
Die genannten Beispiele sind nur die Spitze eines Eisbergs und illustrieren,
mit welch abstrusen Falschaussagen und Bauernfängerargumenten
stattdessen gearbeitet wird. Eine Diskussion auf derart niedrigem
Niveau selbst in anspruchsvolleren Medien hätte ich zuvor nicht
für möglich gehalten.
Wer sich im Bekanntenkreis umhört, der merkt rasch, dass diese
künstlich am Leben erhaltene Scheindebatte ihre Wirkung nicht
verfehlt. Viele Menschen sind verunsichert und wissen nicht mehr,
was sie glauben sollen. Sie meinen, die Ursachen des Klimawandels
seien unter Experten immer noch umstritten. Diese Fehleinschätzung
behindert und verzögert eine effektive Klimaschutzpolitik bis
heute. Dabei geht es um viele Menschenleben. Die Hitzewelle in Europa
im Sommer 2003 hat über 30.000 Menschenleben gekostet [10].
Und die Weltgesundheitsorganisation schätzt in einer Studie,
dass der Klimawandel insgesamt derzeit für jährlich rund
150.000 zusätzliche Todesopfer verantwortlich ist, vor allem
in Afrika [11]. Ohne rasche Gegenmaßnahmen
ist dies erst der Anfang eines mehrfach größeren Klimawandels.
Und es geht – den Thesen von Reichholf zum Trotz – um
die Frage, wieviele Tier- und Pflanzenarten wir noch in das 22.
Jahrhundert hinüber retten können.
Ich kann hier nur an die Verantwortung von allen appellieren, die
sich in den Medien zu Wort melden, mit redlichen Argumenten und
sorgfältig recherchierten Fakten zu arbeiten. Täuschungen,
Tatsachenverdrehungen und selbsternannte Experten ohne fundierte
Sachkenntnis („opinionated ignorance“, wie es im Englischen
so treffend heißt) sind wenig hilfreich.
Vor allem aber sind die zitierten Falschmeldungen Folge eines erschreckenden
Versagens der Qualitätskontrolle in unseren Medien. Dabei wäre
Abhilfe sehr leicht. Im Internetzeitalter ist es einfacher denn
je, Fakten nachzuprüfen. Meist genügen wenige Minuten.
All die „Skeptiker“-Argumente, die in den letzten Monaten
in den Medien aufgetaucht sind, sind von Wissenschaftlern auf diversen
Internetseiten längst detailliert diskutiert und widerlegt
worden. Einen Überblick über die besten dieser Seiten
bietet realclimate.org in der Rubrik start
here. Auch die Qualität von Experten lässt sich anhand
von online-Datenbanken wie dem Web of Science oder Google Scholar leicht ermitteln –
man kann sofort nachsehen, wer was in der Fachliteratur publiziert
hat und wie oft es zitiert wurde. Durch Internetquellen wie sourcewatch.org oder lobbycontrol.de kann man zudem leicht prüfen,
ob jemand für Lobbyorganisationen tätig ist.
Wir Wissenschaftler können die Mißstände in den
Medien nicht beseitigen – wir können nur unser eigenes
Haus in Ordnung halten, fachlich fundierte Informationen bereitstellen
und gelegentlich darauf hinweisen, wenn Unsinn verbreitet wird.
Die Qualitätssicherung der Medien muß die Medienwelt
selbst leisten. In Gesprächen mit Journalisten stelle ich aber
häufig einen erstaunlichen Zynismus oder tiefe Resignation
fest, wenn es um die Frage einer Verbesserung des Qualitätsniveaus
geht.
Doch ohne eine solche Qualitätskontrolle verliert unsere Gesellschaft
die Fähigkeit, zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie zu
unterscheiden – und sie verliert dabei die Fähigkeit,
mit einem komplexen Problem wie dem Klimawandel erfolgreich umzugehen.
Wir alle, vor allem aber unsere Kinder und Enkel, könnten dafür
einen hohen Preis bezahlen.
(Siehe auch meine
Antwort auf die Replik von Bartsch und Kollegen, sowie diese
Übersicht über weitere
Reaktionen.)
Quellenangaben
1. Union of Concerned Scientists, Smoke, Mirrors
& Hot Air: How ExxonMobil Uses Big Tobacco's Tactics to "Manufacture
Uncertainty" on Climate Change. 2007: Washington. p. 63.
2. McCright, M. and R.E. Dunlap, Defeating Kyoto:
The conservative movement's impact on U.S. climate change policy.
Social Problems, 2003. 50: p. 348-373.
3. Sabine, C.L. and et al., The oceanic sink for
anthropogenic CO2. Science, 2004. 305: p. 367-371.
4. Das von Maxeiner wiederholt gelobte „Schröter-Institut
zur Erforschung von Zyklen der Sonnenaktivität“ bestand
nach Auskunft von Prof. Schönwiese (der das "Institut"
besucht hat) allein aus dem inzwischen verstorbenen pensionieren
Juristen Theodor Landscheidt. Landscheidt war passionierter Hobbyastrologe
und Autor von Büchern wie Wir sind Kinder des Lichts. Kosmisches
Bewußtsein als Quelle der Lebensbejahung. Er brachte
nicht nur die Klimaentwicklung, sondern z.B. auch Adolf Hitlers
Aufstieg mit kosmischen Zyklen in Verbindung, siehe seinen Aufsatz
"The
Golden Section: A Cosmic Principle". Die von ihm behaupteten
Zusammenhänge mit dem Klima wurden von Klimatologen geprüft
und konnten nicht bestätigt werden. Wer die Wissenschaftlichkeit
seiner Aussagen öffentlich in Zweifel zog, dem wurde mit Klage
gedroht, u.a. Paul Farrar und mir. (Siehe auch: Rahmstorf, S., Die
Klimaskeptiker, in Wetterkatastrophen und Klimawandel - Sind
wir noch zu retten?, Herausg. Münchner Rückversicherung.
pg-verlag, München 2004.)
5. Lambert, T. Useless online-survey of climate
scientists. 2005 [https://timlambert.org/2005/05/bray.]
6. Rahmstorf, S. and H.J. Schellnhuber, Der Klimawandel.
2006, München: Beck Verlag. 144 Seiten.
7. Schneider von Deimling, T., et al., Climate sensitivity
estimated from ensemble simulations of glacial climate. Climate
Dynamics, 2006. 27: p. 149-163.
8. Ekman, M., A consistent map of the postglacial
uplift of Fennoscandia. Terra Nova, 1996. 8: p. 158-165.
9. Millennium Assessment Working Group. Millennium
Ecosystem Assessment. 2005 [https://www.millenniumassessment.org/en/index.aspx]
10. Kosatsky, T., The 2003 European heat waves.
Euro Surveillance, 2005. 10: p. 148-149.
11. World Health Organization, The World Health
Report 2002 - Reducing Risks, Promoting Healthy Life. 2002: p. 230
12. Rosenzweig, C. and W.D. Solecki, Climate change
and a global city - The Potential Consequences of Climate Variability
and Change. Metro East Coast, 2001: p. 1-8.
13. Rahmstorf, S. et al., Recent Climate Observations
Compared to Projections. Science 316, p. 709, 2007.
Stefan Rahmstorf ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er zählt zu den Leitautoren des 4. IPCC-Berichts (2007) und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung (WBGU). Über 50 Fachpublikationen (davon 14 in den Journals „Science“ und „Nature“). Buchveröffentlichungen: „Der Klimawandel“ (mit Hans-Joachim Schellnhuber, C.H. Beck 2006) und „Wie bedroht sind die Ozeane?“ (mit Katherine Richardson, Fischer 2007).