Anwort auf Mangini's Artikel "Ihr kennt die Gründe nicht"
(Erschienen am 10.4.2007 in der FAZ, unter dem von der Redaktion gewählten Titel "Die Wahrheit zum Klima")
Pünktlich zum Erscheinen des neuen Weltklimaberichts
des IPCC melden sich auch wieder einige Skeptiker zu Wort, die bezweifeln,
dass der Mensch die aktuelle Klimaerwärmung verursacht. Höchst
selten kommen solche Zweifel noch von seriösen Wissenschaftlern,
denn inzwischen haben sich fast alle von den erdrückenden Belegen
überzeugen lassen. Eine ernst zu nehmende Ausnahme ist der
Beitrag des Kollegen Augusto Mangini aus Heidelberg (FAZ, 5. April),
mit dem ich übrigens vor einem guten Jahr eine gemeinsame Studie
zu eiszeitlichen Klimaschwankungen in der Fachzeitschrift Nature
publiziert habe.
Mangini schreibt in der FAZ, zwei Aussagen des IPCC-Berichts seien
falsch: erstens, dass es keine Belege für global wärmere
Perioden als heute im Holozän (den letzten 12,000 Jahren) gäbe,
und zweitens, dass die derzeitige Erwärmung rascher abläuft
als frühere, natürliche Erwärmungsphasen. Zudem vertritt
Mangini bereits seit einigen Jahren in der Öffentlichkeit die
These, die Erwärmung im 20. Jahrhundert sei überwiegend
auf natürliche Sonnenzyklen zurückzuführen. Dies
alles schließt er aus Stalagmitendaten.
Ich bin einer der Autoren des IPCC-Kapitels zu den Klimavariationen
der Erdgeschichte, und ich habe mit Mangini in einem Briefwechsel
diese Fragen diskutiert und ihn explizit als IPCC-Autor um Belege
für seine Thesen in der Fachliteratur gebeten. Aufgabe der
Autorenteams des IPCC ist es ja, einen neutralen Überblick
über die umfangreiche Fachliteratur zu leisten, und damit zu
sortieren, was Einzelmeinung und was wirklich in der Fachliteratur
gut belegte Wissenschaft ist. Das Kapitel zu den Klimavariationen
der Erdgeschichte wurde von 16 international führenden Paläoklimatologen
u.a. aus den USA, Norwegen, China, Indien, Argentinien und Frankreich
verfasst. Weitere 33 Kollegen haben Beiträge geliefert, darunter
übrigens auch der Stalagmitenexperte Dominik Fleitmann, Professor
für Isotopengeologie in Bern. In dem mehrere Jahre dauernden
Entstehungsprozess werden die Textentwürfe dreimal dem Kollegenkreis
zur Begutachtung zur Verfügung gestellt. Jeder kann Kommentare,
Kritik und Vorschläge einbringen und über hundert Kollegen
haben dies auch getan; unabhängige Review Editors wachen darüber,
dass die Autoren alles angemessen berücksichtigen.
Der IPCC-Bericht zeigt alle publizierten großräumigen
Temperaturrekonstruktionen für die Zeit vor Beginn der Temperaturmessungen.
Diese basieren auf Daten aus Baumringen, Eisbohrkernen, Sedimenten,
Korallen oder der Ausdehnung von Gebirgsgletschern. Dass keine derartigen
Rekonstruktionen aus Stalagmiten dabei sind, liegt nur daran, dass
es sie bislang in der Fachliteratur nicht gibt. Dies liegt zum Teil
an deren Problemen mit der Datierung und mit der Eichung des Zusammenhangs
zwischen den gemessenen Isotopenwerten und der Temperatur (die Stalagmiten
werden vorallem vom Niederschlag beeinflusst); zudem gibt es noch
zu wenige solcher Höhlendaten. Auch Mangini konnte uns lediglich
Resultate für einzelne Orte nennen - die auch in den IPCC-Bericht
eingeflossen sind, etwa die Stalagmiten aus den Höhlen von
Oman oder Hulu Cave in China. Auch in seinem FAZ-Artikel diskutiert
Mangini nur einzelne Orte (Niederschläge in Troja!). Dass lokal
und regional wesentlich größere Klimaschwankungen auftreten
als in der globalen Mitteltemperatur ist für jeden Klimatologen
klar, denn die Mechanismen dafür sind vielfältig, z.B.
Veränderungen der atmosphärischen Zirkulationsmuster.
Diese mitteln sich jedoch global heraus - die globale Mitteltemperatur
kann dauerhaft nur verändert werden, wenn die globale Strahlungsbilanz
sich ändert. Mit Rückschlüssen von wenigen Regionen
auf ein globales Mittel sollte man daher sehr vorsichtig sein. Mangini
mag von der korrekten Eichung und der globalen Bedeutung seiner
Daten überzeugt sein - die Mehrzahl der Fachkollegen hat er
bislang nicht überzeugen können. Wir alle neigen wohl
dazu, die Qualität und Bedeutung der eigenen Daten und Modelle
etwas rosiger zu beurteilen als unsere kritischen Kollegen - gerade
deshalb ist der IPCC-Prozess so wichtig, wo über Jahre in Gemeinschaftsarbeit
alle Daten sorgfältig gesichtet und diskutiert werden.
An dieser Stelle möchte ich versuchen, einen häufigen
Fehlschluss auszuräumen, zu dem auch Mangini's Artikel verleiten
mag. Es handelt sich um das Argument: "Das Klima hat sich schon
immer geändert" - was zwar völlig korrekt und unumstritten
ist, aber gänzlich falsch ist als Argument dafür, dass
die vom Menschen verursachte Erwärmung deshalb geringer ausfällt.
Dass der Mensch den CO2-Gehalt der Atmosphäre um ein Drittel
erhöht hat, ist unumstritten (er liegt heute wesentlich höher
als jemals in den letzten 650,000 Jahren - soweit reichen die genauen
Daten aus den Eisbohrkernen der Antarktis zurück). Ebenso unumstritten
ist die Tatsache, dass CO2 die Strahlungsbilanz der Erde verändert.
Der direkte Effekt einer CO2-Verdoppelung wäre eine Erwärmung
um 1 ºC - dies ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt und leicht
nachzurechnen. Die Unsicherheit, wie stark die tatsächliche
Erwärmung letztlich sein wird, kommt von den Rückkopplungen
im Klimasystem. Diese können die Erwärmung verstärken
(wenn etwa durch die Erwärmung mehr Wasserdampf in die Atmosphäre
gelangt), sie könnten sie aber auch abschwächen (wenn
z.B. kühlende Wolken zunehmen). Die Klimageschichte gibt wertvolle
Hinweise über die Wirkung dieser Rückkopplungen: Wären
vergangene Klimaschwankungen immer sehr klein gewesen, wäre
dies ein Indiz für abschwächende Rückkopplungen -
dann würde auch ich zweifeln, ob unser CO2 das Klima aus dem
Gleichgewicht bringen kann. Hätte dagegen Mangini recht und
vergangene Schwankungen der globalen Temperatur waren viel größer,
würde das die Sorge um die künftige Erwärmung noch
verstärken.
Die Reaktion des Klimasystems auf vergangene Störungen des
Strahlungshaushalts wird genutzt, um aus erdgeschichtlichen Daten
quantitativ zu bestimmen, wie sensibel das Klimasystem reagiert.
Ein Team um den Franzosen Claude Lorius, das den berühmten
Vostok-Eiskern in der Antarktis gebohrt hat, hat dies schon 1990
getan. Unsere Arbeitsgruppe hat dazu ebenfalls eine detaillierte
Studie publiziert, auf Basis von Daten aus der letzten Eiszeit,
aus Grönland, der Antarktis und aus tropischen Meeressedimenten.
Und vor kurzem haben Geowissenschaftler der Yale University eine
weitere Studie vorgelegt, die auf Sedimentdaten der letzten 500
Millionen Jahre beruht. Alle drei Studien kamen übereinstimmed
zu dem Schluss, dass der wahrscheinlichste Wert der Empfindlichkeit
des Klimasystems nahe 3 ºC liegt (dies ist die so genannte
"Klimasensitivität", d.i. die Erwärmung bei
anhaltender Verdoppelung der CO2-Konzentration). Der gleiche Wert
ergibt sich aus den physikalischen Modellen - wir müssen also
davon ausgehen, dass das Klimasystem tatsächlich so empfindlich
reagiert. Damit sollte die vom Menschen verursachte Störung
der Strahlungsbilanz bislang 0,7-0,9 ºC Erwärmung verursacht
haben - beobachtet wird eine globale Erwärmung von 0,8 ºC.
Die These, vergangene Klimaschwankungen der Erdgeschichte würden
irgendwie gegen den menschlichen Einfluss auf das Klima sprechen,
ist daher ein echtes "Bauernfängerargument", das
dem Laien auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, einem genaueren
Nachdenken aber nicht standhält. Doch selbst im sonst seriösen
"heute-journal" wurde den Zuschauern letzte Woche eine
beliebte Variante dieses Trugschlusses präsentiert: die kleinen
Alpengletscher im frühen Holozän wurden als Argument gegen
die anthropogene Verursachung des aktuellen Klimawandels verwendet.
Der IPCC-Bericht diskutiert natürlich diese Gletscherdaten
- Grund war die durch die damaligen Erdbahnparameter verstärkte
Sommersonne in nördlichen Breiten, genau jene Konstellation,
die die letzte Eiszeit beendet und die riesigen Eisschilde auf Nordamerika
und Eurasien abgeschmolzen hat. Der Bericht stellt auch fest, dass
die gleiche Ursache nicht für den heutigen Gletscherschwund
in Frage kommt: die aktuelle Erdbahnkonstellation wäre dem
Wachsen der Gletscher förderlich. Die kleinen Gletscher des
Nordens im frühen Holozän deuten übrigens nicht auf
global wärmere Temperaturen hin. Die tropischen Meere waren
damals kühler - auch dies ist aufgrund der Erdbahnparameter
zu erwarten. Und die tropischen Gletscher (z.B. auf dem Kilimanjaro)
waren seit der letzten Eiszeit intakt und zeigen jetzt im Zuge der
globalen Erwärmung erstmals massive Abschmelzerscheinungen.
Auch hier muss man also wieder vorsichtig sein, nicht voreilig von
regionalen auf globale Änderungen zu schließen.
Eine derart differenzierte Diskussion überfordert offenbar
nicht nur manchen Journalisten. Im bereits erwähnten "heute-journal"
verstieg sich ein Mitarbeiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe zu der Behauptung, Klimatologen würden vergangene
Klimavariabilität gezielt herunterspielen, um den Einfluss
des Menschen zu übertreiben. Abgesehen davon, dass dies einem
ganzen Berufsstand weltweit Unredlichkeit unterstellt (eine interessante
Verschwörungstheorie), ist es aus den genannten Gründen
logisch unsinnig - wollte ich die Gefahren unserer CO2-Emissionen
übertreiben, würde ich auf möglichst wilde Klimaschwankungen
der Erdgeschichte verweisen, die auf ein instabiles Erdsystem hindeuten.
Dass es in der Erdgeschichte schon erheblich wärmer war, ist
bestens belegt. Der IPCC-Bericht diskutiert z. B. das Pliozän
vor drei Millionen Jahren, als bei einer CO2-Konzentration um die
400 ppm die Temperaturen global rund 2-3 ºC höher lagen
als derzeit: in mancher Hinsicht ein Muster für das, was auf
uns zukommt. Der diesjährige Leibniz-Preisträger Gerald
Haug vom Geoforschungszentrum Potsdam bringt es auf den Punkt: "Wir
sind auf dem Weg zurück ins Pliozän. Die Frage ist nicht,
ob es schon mal wärmer war - das ist klar. Die Frage ist: wollen
wir wirklich dorthin?" Geologische Daten zeigen, dass der Meeresspiegel
damals 15-25 Meter höher war als heute, wegen der kleineren
Eismassen von Grönland und der Antarktis.
Am Schluss noch einige Worte zur Sonnenaktivität, auf die die
Skeptiker immer gerne verweisen. Sehr wahrscheinlich sind Schwankungen
der Sonnenaktivität eine der Ursachen vergangener Klimavariationen;
entsprechende Korrelationen sind im IPCC-Bericht diskutiert und
übrigens auch von unserer Arbeitsgruppe publiziert worden.
Die Rolle der Sonnenaktivität ist noch unzureichend verstanden.
Doch eines wissen wir aus zahlreichen Messungen: sie hat sich seit
1940 nicht signifikant verändert. Das gilt übrigens auch
für die ebenfalls manchmal ins Spiel gebrachte kosmische Strahlung.
Die derzeitige globale Erwärmung (die überwiegend seit
1970 stattgefunden hat, mit seither 0,6 ºC) kann deshalb damit
nicht erklärt werden. Dies ist einer von vielen Gründen,
weshalb der IPCC-Bericht folgert, dass wir mindestens 90% sicher
sind, dass die Klimaerwärmung der letzten 50 Jahre überwiegend
von uns Menschen verursacht worden ist.
Stefan Rahmstorf ist Professor für Physik
der Ozeane in Potsdam und Autor des Buches "Der Klimawandel"
(C.H. Beck, € 7,90, gemeinsam mit Hans-Joachim Schellnhuber).