Klimaforscher Schellnhuber Schwachsinn ist, wenn Politiker wieder in Gummistiefeln auf dem Deich stehen

Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber: Es geht um nichts anderes als eine industrielle Revolution
Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung: Wir stehen für vor einer "großen Transformation".
Was tun gegen den Klimawandel? Zum Beispiel auf Fleisch und Flugreisen verzichten, sagt Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Im stern-Interview redet er Klartext jenseits von Grenzwerten und Absichtserklärungen.

Wenn es um den Kampf gegen den weltweiten Klimawandel geht, hat Hans Joachim Schellnhuber seine Zurückhaltung weitgehend aufgegeben. Die Zeit drängt, "die Zukunft der Menschheit entscheidet sich jetzt", sagt der weltweit renommierte Klimaforscher. Und er lässt keine Ausflüchte mehr zu. Auf die Frage, was jeder Einzelne tun könne, um eine Klimakatastrophe abwenden zu helfen, sagt er klipp und klar: Vegetarier werden und nicht mehr mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen. Auch im Interview mit dem stern redet der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Klartext - über einen Kohle-Ausstieg, die Widersprüchlichkeit politischer Entscheidungen und darüber, dass "Trump nicht die Welt ist".

Herr Professor Schellnhuber, die Weltklimakonferenz in Bonn war schon die 23. ihrer Art. Vor zwei Jahren gab es einen gefeierten Durchbruch in Paris. Gerettet ist das Klima aber immer noch nicht. Warum ist das so?

Weil internationale Klimadiplomatie die Dynamik eines Schneckenballetts hat. Weil die fossilen Industrien und jene Länder, die Reichtum und Macht dem Aussaugen von Kohle und Öl verdanken, selbst diesen Schneckentanz noch stoppen wollen. Vor allem aber, weil wir feststecken in einer Unkultur von Bequemlichkeit und Materialismus. Oft werden unsere wissenschaftsbasierten Szenarien zur Klimarettung mit den sogenannten "Business as usual"-Szenarien verglichen, wo die Wirtschaft ungehindert die Umwelt zerstören darf. Dabei wird übersehen: Im Falle des ungebremsten Klimawandels gibt es dieses "Weiter-so" nicht mehr – mit der Schnellerhitzung des Planeten zerstören wir die natürliche Basis unseres Wohlstands ein für alle Mal. Wobei die schlimmsten Schäden und Leiden erst in weiter Ferne stattfinden werden – im Südpazifik, im Sahel, in Alaska, zum Beispiel. Aber irgendwann werden die davon ausgehenden Schockwellen auch Deutschland erreichen. Und schon viel früher die USA, wo gerade ein Massenexodus aus dem von Hurrikan Maria zerstörten Puerto Rico einsetzt. Im Grunde haben die meisten Entscheider verstanden, was auf dem Spiel steht. Aber die Umsetzung erfolgt quälend langsam.

In einem Vortrag haben Sie kürzlich gesagt, je länger wir das Treibhausgas CO2 in die Atmosphäre blasen, umso schneller und radikaler muss dann der Ausstieg kommen. Wie sieht Ihre Zeit-Rechnung aus?

In Paris hat sich die Welt darauf geeinigt, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, weil jenseits dieser Schwelle unbeherrschbare Klimarisiken lauern. Wenn wir diese Grenze tatsächlich ernst nehmen, dann können wir nach konservativen Schätzungen noch etwa 800 Gigatonnen CO2 in die Luft blasen – im ganzen 21. Jahrhundert! Wir haben also einen scharf begrenzten Kohlenstoffkredit bei der Natur, und was wir jetzt ausgeben, das fehlt uns später. Tatsächlich geht die Rechnung nur einigermaßen auf, wenn wir die globale Emissionskurve bis 2020 nach unten biegen können. Ansonsten türmen wir die Klimaschuld immer steiler auf und treiben unsere Nachkommen in den Konkurs.

Nach fast einem Vierteljahrhundert Konferenzen wird also nun doch die Zeit knapp. Sie fordern daher den Kohle-Ausstieg bis 2030, Ausstieg aus der Massentierhaltung bis 2040, ebenso die Aufgabe von Zement als Baustoff. Das sind grundlegende Einschnitte in naher Zukunft. Wie soll das gehen?

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Hans Joachim Schellnhuber

... ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), das er 1992 auch gegründet hat. Der 67-Jährige gilt als einer der weltweit renommiertesten Klimaexperten. Als einer der Ersten forderte er zeitnahe und nachhaltige Maßnahmen gegen die globale Erwärmung, vor allem durch Abkehr von fossilen auf erneuerbare Energiequellen. Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen und Mitglied des Weltklimarates IPCC.

Wir reden hier selbstverständlich von nichts weniger als einer industriellen Revolution, ja einer "Großen Transformation". Seltsamerweise berauschen sich die meisten Politiker und ihre Wähler an den gewaltigen technologiegetriebenen Umwälzungen, die schon im Gang sind oder verheißen werden – vom selbstfahrenden Auto über die künstliche Intelligenz bis hin zur "Verbesserung" des Menschen durch Gendesign und Synthetische Biologie. Aber bei allem, was mit der Umwelt zu tun hat, sollen wir doch bitteschön bei den Errungenschaften des 19. Jahrhunderts verharren: Kohle, Stahl, Kunstdünger und so weiter. Dies ist nicht nur schädlich, sondern auch dämlich. Denn gerade aus der klassischen industriellen Revolution sind immense Möglichkeiten geboren worden, Wohlstand auf nachhaltige Weise zu schaffen. Zum Beispiel wächst die installierte Leistung von Photovoltaik weltweit mit fast 35 Prozent pro Jahr, und auf die Dauer kann nichts auf Erden mit der Solarenergie konkurrieren. Dass die Elektromobilität kommen wird, ist für mich eine Gewissheit. Und die Siedlungen der Zukunft werden kaum aus Stahlbeton errichtet werden, sondern aus smarten, biobasierten Materialien. Schließlich ist die industrielle Fleischproduktion nicht nur für gewaltige Treibhausgasemissionen verantwortlich, sondern auch für unendliches tierisches Leid und menschliche Krankheit. Es ist an der Zeit, die nächste Stufe der Zivilisationsrakete zu zünden.

Mit US-Präsident Donald Trump werden Sie keinen Verbündeten haben. Lässt sich das Klima ohne die USA retten? Und wenn nein, was dann?

Nach Trumps Ankündigungen ist kein einziges weiteres Land aus dem Paris-Abkommen ausgetreten; er hat international die Reihen der Klimaschützer sogar geschlossen. Und in den USA selbst gibt es Bundesstaaten wie Kalifornien – immerhin die sechstgrößte Volkswirtschaft der Erde -, welche die globale Erwärmung nun noch entschlossener bekämpfen wollen. Trump ist nicht die Welt, Gott sei Dank!

In den Jamaika-Sondierungen in Berlin hatte das Klima ebenfalls einen schweren Stand. Da war auch schon mal von "Schwachsinn" die Rede. Die Grünen verwässerten ihre Forderungen, damit überhaupt eine Koalition zustande kommt - vergeblich, wie wir jetzt wissen. Was fordern Sie von der kommenden Regierung?

Die von der bisherigen Bundesregierung gesteckten Klimaziele dürfen nicht zur Verhandlungsmasse verkommen, denn sie sind nicht willkürlich gesetzt, sondern wissenschaftlich begründet. Stoßen wir mehr Treibhausgase aus, treiben wir die Klimarisiken hoch. Und dann darf wieder irgendein Politiker in Friesennerz und Gummistiefeln vom Deich aus sorgenvoll auf Überschwemmungsgebiete starren – das ist doch der eigentliche Schwachsinn. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, müssen wir vor allem raus aus der Kohle, und zwar rasch. Es gibt keinen anderen Weg, so schnell so viele Emissionen zu vermeiden, wie eben nötig ist. Es geht um die Stabilisierung des Weltklimas – und ganz nebenbei um die Modernisierung unseres Landes.

An Bord des Forschungsschiffes "Akademik Trjoschnikow" legten die Wissenschaftler in 89 Tagen 33.565 Kilometer zurück, als sie die Antarktis umrundeten
An Bord des Forschungsschiffes "Akademik Trjoschnikow" legten die Wissenschaftler in 89 Tagen 33.565 Kilometer zurück, als sie die Antarktis umrundeten
© Jean-Francois Lagrot
Hilft die Antarktis, den Klimawandel zu stoppen?

Was ist Ihre Bilanz der Klimakonferenz in Bonn? Und für wie groß halten Sie die Chance, dass die gefassten Beschlüsse auch wirksam umgesetzt werden (können)?

Das war ein Arbeitsgipfel ohne dramatische Beschlüsse, und das war in Ordnung. Es war aber auch der letzte Gipfel vor dem im Paris-Abkommen vereinbarten "Global Stocktake", wenn alle Nationen auf den Tisch legen müssen, was sie an CO2-Reduktionen bisher wirklich leisten wollen. Schon heute ist klar: das reicht hinten und vorne nicht. Deshalb müssen alle jetzt schleunigst nachbessern. Der nächste UN-Klimagipfel findet im polnischen Kohlerevier statt, in Katowice. Ein guter Schauplatz für ein fossiles Finale.

Zum Schluss die Grundsatzfrage: Werden wir es schaffen, einen katastrophalen Klimawandel noch abzuwenden? Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Erfolg?

Lassen Sie es mich so ausdrücken: Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist immerhin nicht so klein, dass wir uns es erlauben dürften, aufzugeben. Auch wenn die Versuchung der Resignation manchmal groß ist.