Gutachten zur CO2-Steuer Forscher halten Systemwechsel für nötig
Vor einem halben Jahr haben Christoph Schmidt, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, und Ottmar Edenhofer, Chef des Mercator-Instituts für Klimawandel, im SPIEGEL das Konzept für eine CO2-Bepreisung vorgestellt . Heute haben die Wirtschaftsweisen ein Gutachten für das Kanzleramtveröffentlicht, das sie unter Mithilfe Edenhofers erarbeitet haben, und konkretisieren damit das Konzept. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklären die beiden Ökonomen, wie ihr Plan eines Systemwechsels funktioniert, wen er belastet und warum sie wichtige Entscheidungen der Politik überlassen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Schmidt, Herr Edenhofer, Sie wollen einen CO2-Preis einführen, der Benzin, Heizöl und andere Kraftstoffe deutlich verteuert. Wollen Sie den Deutschen das Autofahren verleiden?
Christoph Schmidt: Es geht nicht allein ums Autofahren, sondern um eine umfassende Strategie für den Klimaschutz, die alle Wirtschaftssektoren gemeinsam betrachtet. Wenn Deutschland seine internationalen Verpflichtungen im Kampf gegen die Erderwärmung einhalten will, muss der Ausstoß von CO2 teurer werden. Daran führt kein Weg vorbei. Bei der Stromerzeugung und der Industrie haben wir in dieser Hinsicht schon einiges erreicht, nun müssen wir das Prinzip auch im Verkehrs- und Gebäudesektor durchsetzen. Zugleich sollten wir die Kosten des Klimaschutzes möglichst gering halten. Das wiederum kann bedeuten, dass auch in der Energiewirtschaft und der Industrie künftig mehr gemacht werden muss als bisher vorgesehen.
SPIEGEL ONLINE: Laut Meinungsumfragen sind die Bürger durchaus zu Verzicht bereit. Die Frage ist nur: Wie viel wird der Klimaschutz am Ende kosten?
Ottmar Edenhofer: Das kann niemand mit letzter Sicherheit sagen. Denn wir wissen nicht genau, wie weit die Preise steigen müssen, bis Hausbesitzer eine neue Heizung einbauen oder Autofahrer aufs Elektroauto umsteigen. In meinem Institut schätzen wir, dass der Preis pro Tonne CO2 anfangs bei 50 Euro liegen müsste. Bis 2030 müsste er dann schrittweise auf 130 Euro ansteigen. Für die Autofahrer würde sich der Preis für einen Liter Benzin, inklusive Umsatzwertsteuer, dadurch anfangs um 14 Cent und bis zum Jahr 2030 um insgesamt 37 Cent erhöhen . Und wer seine 80-Quadratmeter-Wohnung mit Gas heizt, müsste anfangs 45 Euro und 2030 dann 230 Euro im Jahr mehr zahlen als heute.
SPIEGEL ONLINE: Das ist happig. Dabei haben die Deutschen schon heute die höchsten Energiekosten in Europa. Wollen Sie die Bürger in die Armut treiben?

Christoph Schmidt, Jahrgang 1962, war von 2009 bis 2020 Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (»Die Wirtschaftsweisen«) und ab 2013 auch Vorsitzender des Gremiums. Der Volkswirt leitet seit 2002 das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.
Schmidt: Davon kann keine Rede sein. Die höheren Preise sollen schließlich nicht zulasten der Bürger die Staatskasse füllen, sondern den CO2-Ausstoß verringern. Deshalb lautet unser Vorschlag: Der Staat sollte das, was er im neuen System einnimmt, auf anderem Wege an die Bürger zurückgeben, zum Beispiel indem er die Stromsteuer senkt oder jedem Einwohner am Jahresende einen einheitlichen Geldbetrag erstattet. Bei einem sozial ausgestalteten Klimaschutz werden die Bürger auch mitziehen.
SPIEGEL ONLINE: Und am Ende zahlen die kleinen Einkommen drauf.

Ottmar Edenhofer, Jahrgang 1961, ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Der Umweltökonom lehrt an der Technischen Universität Berlin.
Edenhofer: Im Gegenteil: Wenn der Staat es richtig macht, werden Geringverdiener sogar entlastet, weil sie in der Regel kleinere Wohnungen haben und weniger Auto fahren. Ihre Mehrkosten lägen deshalb deutlich unter den etwa 250 Euro, die jeder Bürger jährlich als Klimadividende vom Staat bekäme. Obere Einkommensgruppen dagegen müssten im Schnitt mehr zahlen, gerade weil sie überdurchschnittlich viel Energie verbrauchen. Für Berufspendler, die besonders weite Wege zur Arbeitsstelle zurücklegen müssen, könnte der Staat spezielle Hilfen gewähren: etwa durch einen Härtefallfonds.
SPIEGEL ONLINE: In der Großen Koalition wird erbittert über den richtigen Weg zu höheren CO2-Preisen gestritten. Die SPD plädiert für eine Steuer; die Union dagegen will den Emissionshandel, den es heute schon für Strom gibt, auf den Verkehrssektor und die Gebäudewirtschaft ausdehnen. Wofür sind Sie?
Schmidt: Mittelfristig brauchen wir ein europaweites Emissionshandelssystem, das alle Bereiche und nicht nur den Stromsektor und die Industrie umfasst. Dieses marktwirtschaftlich ausgerichtete System wäre der beste Weg zu einem wirksamen Klimaschutz. Das Problem ist nur, dass es Jahre dauern könnte, bis ein solches System in Brüssel ausgehandelt ist. So lange können wir aber nicht warten, wir brauchen eine zielführende Übergangslösung.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Edenhofer: Deutschland ist nach den EU-Regeln verpflichtet, bereits in den nächsten Jahren den Ausstoß schädlicher Treibhausgase auch in den Bereichen Verkehr und Gebäude zu reduzieren. Sonst werden Milliarden für den Kauf von sogenannten CO2-Zertifikaten aus anderen Ländern fällig. Das müssen wir vermeiden. Stattdessen benötigen wir für eine Übergangszeit eine nationale Lösung. Die kann entweder in einer CO2-Steuer oder einem eigenem Emissionshandel für den Verkehrs- und Gebäudesektor bestehen.
SPIEGEL ONLINE: So weit, so bekannt. Die Große Koalition hätte aber gern von Ihnen gewusst, welcher Weg der bessere ist.
Schmidt: Die Botschaft unseres Gutachtens an die Politik ist, dass beide Wege zum Ziel eines umfassenden Emissionshandels führen müssen. Es macht aber auch deutlich, dass sie ein komplexes Regelwerk und im Ernstfall harte politische Entscheidungen erfordern. Beim Emissionshandel darf die Regierung nicht einknicken, wenn zum Beispiel der CO2-Preis für die bisherigen Emissionshandels-Sektoren Energiewirtschaft und Industrie über das bisherige Niveau hinaus steigen sollte. Bei der Steuer wiederum muss sie bereit sein, die Sätze rasch zu erhöhen, wenn sie nicht zur erwünschten Emissionsvermeidung führen; auch das ist im Zweifel nicht unbedingt populär. Die Politik muss wissen, welchen Weg sie politisch durchhalten kann.
SPIEGEL ONLINE: Dafür hätte die Große Koalition gern ein klares Votum gehabt. Stattdessen geben Sie nun den Ball zurück. Machen Sie es sich nicht ein bisschen einfach?
Schmidt: Der Sachverständigenrat ist keine Ersatzregierung. Wir können Wege aufzeigen und die Vor- und Nachteile verschiedener Optionen benennen. Wir formulieren klar das mittelfristige Ziel eines umfassenden Emissionshandels. Zudem zeigen wir, dass es nicht nur einen Weg gibt, dorthin zu gelangen. Aber ein glaubwürdiges Bekenntnis zum CO2-Preis abgeben: das kann nur die Politik selbst.
Edenhofer: Mit dem Gutachten liefern wir der Großen Koalition sozusagen das Kartenmaterial. Umso leichter müsste es ihr nun fallen, den Marschbefehl zu geben.
SPIEGEL ONLINE: Die Regierung ist da zögerlich. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich gegen alles ausgesprochen, was Arbeitsplätze gefährden könnte.
Schmidt: Der Einwand ist berechtigt, aber es fehlt der Zauberstab, mit dem der Wirtschaftsminister eine bessere Lösung herbeizaubern könnte. Denn wer unsere beiden Vorschläge ablehnt, muss einen anderen Weg aufzeigen, wie Treibhausgase zu niedrigen Kosten eingespart werden können. Und der kann dann nur in harten ordnungsrechtlichen Eingriffen bestehen. Wer gegen höhere CO2-Preise ist, muss zum Beispiel Ölheizungen verbieten oder den Absatz von Elektroautos mit weiteren milliardenschweren Subventionen ankurbeln. Die Erfahrung lehrt, dass solche Versuche der staatlichen Detaillenkung eher schlechtere Ergebnisse liefern als der Markt. Sie sind teurer und in der Regel sozial weniger ausgewogen.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie darauf?
Schmidt: Wenn die Politik irgendwann beschließen sollte, dass Autos mit Verbrennungsmotoren nicht mehr in die Innenstadt fahren dürfen, können sich Wohlhabende leicht ein zusätzliches Elektroauto kaufen. Der Niedrigverdiener mit dem acht Jahre alten Diesel ist der Gekniffene.
SPIEGEL ONLINE: Auch Umweltministerin Svenja Schulze ist der Auffassung, dass ein höherer CO2-Preis nicht ausreicht, sondern durch staatliche Auflagen und Förderprogramme ergänzt werden muss.
Edenhofer: Sorgfältig überlegte Programme und Auflagen können helfen, die Wirkung des CO2-Preises zu stärken, aber die Prioritäten müssen klar sein. Das zentrale Instrument, um das Problem der Erderwärmung in den Griff zu bekommen, ist der CO2-Preis. Nur er setzt die richtigen Signale für den Markt, nur er führt dazu, dass die Kosten des Klimaschutzes so gering wie möglich bleiben. Und das ist entscheidend, wenn wir die Menschen bei dieser Jahrhundertaufgabe mitnehmen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Weltweit ist Klimaschutz nicht gerade auf dem Vormarsch. In den USA und Brasilien sind Präsidenten an der Macht, die den Treibhauseffekt für Fake News halten, und in weiten Teilen der Dritten Welt wird ein neues Kohlekraftwerk nach dem anderen ans Netz genommen. Ziehen Sie in eine Schlacht, die möglicherweise längst verloren ist?
Edenhofer: Nein. In kaum einer anderen Region werden derzeit so ehrgeizige Klimaziele gesetzt wie im US-Bundesstaat Kalifornien, da kann Donald Trump so viel twittern, wie er will. Und in China, dem größten Industrieland überhaupt, wird mindestens so intensiv über höhere CO2-Preise nachgedacht wie hierzulande. Wenn es den Europäern gelänge, auf diesem Feld ein funktionierendes System zu etablieren, hätten sie die Chance, einen weltweiten Standard zu setzen.