Emissionshandel Topforscher verspricht Schuldenabbau durch Klimarettung

Klimaforscher Edenhofer: "Zwei Fliegen mit einer Klappe"
Foto: STEFANIE LOOS/ REUTERSDer Potsdamer Klimaforscher Ottmar Edenhofer macht sich für eine Radikalreform des kränkelnden EU-Emissionshandels stark, die Europas Krisenstaaten Milliardeneinnahmen bescheren soll.
Laut internen Dokumenten von Edenhofers Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) könnten die 28 EU-Mitgliedstaaten künftig jährlich rund 64 Milliarden Euro statt bisher 3,5 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Verschmutzungsrechten erlösen. Hierfür müsste die EU unter anderem einen gesetzlichen Mindestpreis von 20 Euro je Lizenz zum Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid (CO2) einführen. Im freien Handel kosten die Zertifikate zurzeit nur etwa 5,20 Euro.
"Gerade in Südeuropa sind mehrere Staaten so hoch verschuldet, dass es für ihre Finanzminister sicher lohnend wäre, CO2 stärker zu bepreisen", sagte Edenhofer SPIEGEL ONLINE. Der 52-jährige Chefökonom und stellvertretende Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung war jahrelang Berater des Außenministeriums und leitet im Weltklimarat IPCC die Arbeitsgruppe zur Vermeidung des Klimawandels.
Griechenland käme durch die Reform auf zusätzliche Einnahmen von 2,55 Milliarden Euro pro Jahr, haben Edenhofers Leute in ihrer unveröffentlichten Analyse berechnet. Spanien würde mehr als sechs Milliarden und Italien fast sieben Milliarden Euro aus dem Zertifikateverkauf generieren. Deutschland könnte sogar 14,3 Milliarden Euro einnehmen - statt derzeit 800 Millionen Euro.
Zugleich soll Edenhofers Reformvorschlag den darbenden EU-Emissionshandel neu ausrichten. Das System war als zentrales Instrument von Europas Klimapolitik gedacht: Seit 2005 müssen mehr als 11.000 Industriebetriebe und Energieversorger in der Union für jede ausgestoßene Tonne des Treibhausgases CO2 eine Lizenz vorweisen. Da Europas Staaten diese Verschmutzungsrechte aber sehr großzügig - und oft sogar gratis - verteilt haben und zudem die Industrieproduktion unter den Erwartungen liegt, herrscht ein Überangebot an Zertifikaten. Statt der von Brüssel erwarteten 30 Euro kosten die Papiere nur etwa ein Sechstel.
"Emissionshandel in seiner aktuellen Form nicht funktionsfähig"
Durch den Kursverfall drängen die extrem emissionsintensiven Kohlekraftwerke zunehmend die umweltfreundlicheren Gaskraftwerke aus dem Markt. Deutschlands Stromproduktion aus Braunkohle etwa war 2013 so hoch wie seit 1990 nicht mehr. Zudem haben mehrere Betrugsskandale das Image des EU-Systems beschädigt. Und nach einem Massendiebstahl von Zertifikaten musste Brüssel den Handel 2011 sogar zwei Wochen lang aussetzen - in ganz Europa. "Der Emissionshandel ist zwar prinzipiell eine gute Idee", sagt Edenhofer, "aber in seiner aktuellen Form nicht funktionsfähig".
Sein Institut MCC fordert drei grundlegende Änderungen:
- Erstens soll die EU einen gesetzlichen Mindestpreis für die Zertifikate von 20 Euro pro Tonne CO2 festlegen. Brüssels Klimakommissarin Connie Hedegaard hatte bereits zu Jahresanfang kurzzeitig mit einer solcher Preisuntergrenze geliebäugelt.
- Zweitens soll die EU auch für den Transport- und Gebäudesektor einen Lizenzzwang einführen.
- Drittens soll die Gratisvergabe der Zertifikate "auf ein für die Wettbewerbsfähigkeit betroffener Industrien erforderliches Mindestmaß" beschränkt werden, wie es in den Dokumenten heißt.
Laut einer Studie des Öko-Instituts schenkte der deutsche Staat den fünf größten Stromversorgern Eon , RWE , EnBW , Vattenfall Europe und Steag zwischen 2005 und 2012 Lizenzen im Gesamtwert von mehr als 21 Milliarden Euro. Edenhofers Institut fordert, dass die Regierungen künftig nur noch etwa 20 Prozent statt bislang 60 Prozent der Lizenzen verschenken - und 80 Prozent versteigern sollen.
Mit dieser Reform könne man "zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen", sagt Edenhofer: "Es wäre sowohl Südeuropas Krisenstaaten wirtschaftlich geholfen als auch dem Klima in Europa." Im Gegenzug allerdings würden sich sowohl Elektrizität als auch die Produktion energie- und CO2-intensiver Güter wie Papier, Baustoffe oder Aluminium wohl drastisch verteuern. Ausgerechnet jetzt, da Südeuropas Krisenstaaten hoffen, endlich aus der Dauerrezession zu kommen.
Edenhofer hält seinen Plan dennoch für politisch durchsetzbar. Schließlich könnten die Regierungen im Gegenzug Steuern auf Kapital und Arbeit senken und so die Kostensteigerungen abmildern. "Ich denke, mittelfristig gibt es durchaus Chancen, dass der europäische Zertifikatehandel entsprechend reformiert wird."
Zuletzt hatte sich die EU drauf geeinigt, in den Jahren 2014 bis 2016 900 Millionen Emissionsrechte vorübergehend aus dem Markt zu nehmen, um das Überangebot zu reduzieren.
Die Preise hat dies bislang aber kaum nach oben gebracht.