Neue Klima-Studie: Das Nordpoleis schmilzt uns einfach weg
UN-Weltklimarat legt alarmierenden Bericht vor
Extrem-Hitze, steigender Meeresspiegel, Eisschmelze, Regengüsse – was ist los mit unserem Klima? Professor Anders Levermann (40) vom Potsdam-Institut für Klimafolgen-Forschung ist einer der Hauptautoren des neuen Berichts, den der UN-Weltklimarat jetzt in Stockholm vorgelegt hat. Im Interview mit BILD.de warnt der Forscher vor dem absoluten Klima-GAU, wenn wir nicht sofort handeln.
BILD.de: Professor Levermann, was droht uns als Horror-Szenario? Extrem-Hitze, Dürre, Hungersnot oder Eisschmelze, steigender Meeresspiegel, Überflutung?
Prof. Levermann: Das könnte uns alles drohen, wenn wir nicht handeln und gegensteuern. Aber nicht überall und sofort – also bitte keine Panikmache! Wir haben vom IPCC, also dem wissenschaftlichen Klimarat der UNO, einen dreiteiligen Bericht erarbeitet. Der erste behandelt den beunruhigenden Anstieg der Temperaturen und des Meeresspiegels. Da bin ich leitender Autor. Dazu folgen zwei weitere Berichte, der letzte im Mai 2014, der sich unter anderem damit beschäftigt, was kosten uns globale Maßnahmen gegen die drohenden Risiken. Wobei klar ist: Wenn wir nichts tun, kostet das auch.
BILD.de: Wer hat Schuld an der Klimakatastrophe?
Prof. Levermann: Wir sind sicher: Der Mensch trägt die Verantwortung. Wir sind schuld. Schon im letzten Bericht waren wir zu 90 Prozent sicher, jetzt liegen wir bei 95 Prozent. Wenn Sie mit der Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch die Schuld am Klimawandel trägt, Lotto spielen, kriegen Sie einen Jackpot.
BILD.de: Dafür haben 259 Hauptautoren und namhafte Forscher vier Jahre lang gearbeitet? Es klingt nicht so neu…
Prof. Levermann: Das ist ja das Schlimme, dass man glaubt, das haben wir alles schon mal gehört. Dadurch wird es aber nicht weniger wahr. Wirklich neu im Bericht ist, dass der Meeresspiegel um bis zu einen Meter ansteigen kann – noch in unserem Jahrhundert. Und das ist als Zusammenfassung der Ergebnisse aller Forscher eine eher konservative Schätzung. Im letzten Bericht haben wir keine Meeresspiegel-Projektion gemacht, weil wir noch nicht genug über die Eisschilde auf Grönland und in der Arktis wussten. Jetzt machen wir eine klare Prognose, deuten aber die Obergrenze, den worst case, nur an.
BILD.de: Der da wäre?
Prof. Levermann: Ein Anstieg der Meeresspiegel im schlimmsten Fall um mehr als einen Meter. Ein Anstieg der Erderwärmung um bis zu 5,5 Grad. Im Sommer die komplette Schmelze vom arktischen Meereis am Nordpol – und das alles bis 2100.
BILD.de: Heißt das, Städte wie Hamburg, New York, Shanghai werden weggespült, es drohen Hungersnot und Völker-Flucht?
Prof. Levermann: Nein! Gerade damit Küstenstädte sich schützen können, gibt es diese Prognosen. Sie werden nicht absaufen, weil sich zum Beispiel Deichbauer auf den schlimmsten Fall vorbereiten können. Aber in armen Ländern wie Bangladesh wird es natürlich schwierig. Ich bin damit aufgewachsen, dass es ewiges Eis am Südpol und am Nordpol gibt. Nun, am Nordpol schmilzt es einfach weg, wenn wir so weitermachen wie bisher. Es ist ein riesiges Ökosystem, das dann Opfer des Klimawandels wird.
BILD.de: Aber warum warnt der Bericht des Weltklima-Rats nicht vor dem schlimmsten Fall?
Prof. Levermann: Wir sind nicht dafür da, die Menschen wie in Filmen mit einem Horror-Szenario zu erschrecken. Das ist ein Zusammenschluss von vielen tausend Wissenschaftlern, die die beste wissenschaftliche Abschätzung der Zukunft liefern. Das ist auch gut und richtig für die meisten Fälle. Aber beim Meeresspiegel ist nun gerade der „worst case“ das, was die Küstenschützer wissen wollen. Denn sie wollen ja, dass Hamburg sicher ist. Und nicht, dass es eine 1 zu 3 Chance gibt, dass es überschwemmt wird.
BILD.de: Ich lerne aus Ihrem Bericht also, dass weder bei globaler Erwärmung, noch bei Eisschmelze und Anstieg der Meeresspiegel eine Grenze gesetzt ist?
Prof. Levermann: Die Grenze der Erwärmung wird vom Ausstoß von Kohlendioxid bestimmt. Das steht fest. Und klar ist auch, dass diese Grenze nach oben offen ist, wenn wir weiter so machen, statt auf die Treibhausgas-Bremse zu treten. Wir haben in den letzten 100 Jahren eine Erwärmung von erst 0,8 Grad beobachtet und sehen bereits die Auswirkungen.
BILD.de: Was droht denn an Jahrhundert-Katastrophen, an Hungersnöten, an Stürmen?
Prof. Levermann: Ein Jahrhundertereignis heißt normalerweise, jetzt passiert etwas, das es seit 100 Jahren nicht gegeben hat. Aber rückblickend hatten wir eine extreme Dürre in den USA und in Russland, Pakistan war zweimal überflutet, in Australien hat Dauerregen eine Fläche groß wie Deutschland und Frankreich unter Wasser gesetzt. Gucken Sie auf die Liste tropischer Wirbelstürme, die seit Hurricane Katrina in 2005 allein die USA getroffen haben – diese extremen Wetterereignisse sind schon fast Alltag. Das sind längst keine Jahrhundertereignisse mehr, und viele von ihnen werden immer öfter auftreten oder stärker werden, länger anhalten wie zum Beispiel Hitzewellen.
BILD.de: Sie sagen im Bericht, dass es bisher noch eine Art „Kühl-Effekt“ gibt. Was ist das, wann hört der auf und ab wann trifft uns die volle Wucht der Klimakatastrophe?
Prof. Levermann: Man muss sich das so vorstellen: Das CO2 ist in der Atmosphäre und fängt die Strahlung der Sonne ein. Das erwärmt die bodennahen Schichten, also die unteren paar hundert Meter Luft. Da der Ozean nicht starr ist wie das Land, erwärmt sich jeweils die Wasseroberfläche und durch Bewegung treibt das Wasser die Wärme in die Tiefe, absorbiert also Wärme. Wenn aber die Tiefe keine Wärme mehr aufnehmen kann, erwärmt sich das Wasser weiter oben und gibt dann auch wieder Wärme an die Luft ab. Das geschieht langsam. Im Pazifik gibt es das „El Niño“-Phänomen. „El Niño“ pumpt Wärme aus dem tiefen Ozean nach oben und die Schwester davon, „La Niña“, pumpt Wärme aus der Oberfläche in den tiefen Ozean. Der erwärmt sich dadurch schneller als normalerweise und die Wärme fehlt dann an der Oberfläche, was im Klimawandel gut ist. Doch das hört in Kürze auf.
BILD.de: Warum verneinen Klima-Skeptiker die drohende Gefahr?
Prof. Levermann: Wir hatten bei der Erderwärmung knapp 15 Jahre eine Verlangsamung. Das gab Anlass zu Spekulationen, ob nicht alle Szenarien falsch seien. Ich sage klar, und das belegt auch der Bericht: Es gibt keinerlei Anlass zur Entwarnung. Im Gegenteil! Es gibt Gründe für die Verlangsamung: Der tiefe Ozean schluckt gerade mehr Wärme, Chinas Luftverschmutzung schirmt uns etwas von der Sonne ab, natürliche Schwankungen überdecken den Erwärmungstrend. Selbst wenn sich aber die Wärme umverteilt, weniger in der Luft und mehr im Ozean, ist sie dadurch nicht weg. Wahrscheinlich kommt die Temperatur danach umso höher in die Atmosphäre zurück.
BILD.de: Können wir denn überhaupt noch etwas tun? Es wird immer mehr Autos geben, zum Beispiel in China, Indien.
Prof. Levermann: Die Autos sind ein Teil der Kette, aber keineswegs die Hauptursache. Wie gesagt, Maßnahmen für den Klimaschutz werden erst im dritten Teil des Berichts aufgezeigt. Alles, was ich sagen kann ist: Wenn wir gefährlichen Klimawandel vermeiden wollen, müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen verringern. Und zwar drastisch. Das betrifft die Nutzung fossiler Brennstoffe, Viehhaltung, die Rodung von Wäldern. Ohne eine Reduktion kriegen wir bis zum Ende unseres Jahrhunderts eine Erwärmung um 3,5 bis 5,5 Grad – und die damit verbundenen Auswirkungen.
BILD.de: Aber wen trifft den jetzt ihr Weckruf fürs Klima, wenn Sie keine Handlungsempfehlung für die Politik geben?
Prof. Levermann: Wir geben den Menschen und insbesondere den Politikern das Wissen, den besten Forschungsstand, damit sie eine feste Grundlage für ihre Entscheidungen haben. Nicht mehr und nicht weniger. Wir versuchen, unsere Erkenntnisse der Gesellschaft zu erklären, weil die ein Recht darauf hat, und uns diesen Auftrag gegeben hat. Bei einer Erwärmung über zwei Grad gibt es deutliche Veränderungen im Klimasystem, und wir sind der Unsicherheit von Extrem-Ereignissen ausgesetzt.
BILD.de: Was erhoffen Sie sich von der Weltklima-Konferenz in Warschau 2013?
Prof. Levermann: Den ernsthaften Versuch einer Einigung auf das Ziel, in den nächsten fünf Jahren den CO2-Ausstoß so umzukehren, dass er nicht weiter ansteigt. Das wäre ein Riesenschritt zum Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts auf 20 Prozent Emissionen zu reduzieren. Wenn wir gefährlichen Klimawandel vermeiden wollen, müssen wir in den nächsten 40 Jahren den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien weltweit einleiten. Das ist aber eine Entscheidung für die Gesellschaft, nicht für die Klimawissenschaftler. Unsere Aufgabe ist nur, umfassend zu informieren.