Die Bundesregierung will mit der neuen Studie dafür werben, das Klimaschutzziel der EU restriktiver zu fassen. Ihre zentrale Botschaft: Eine konsequente Klimapolitik muss nicht auf Kosten der Wirtschaft gehen. Ganz Gegenteil kann sie ökonomisches Wachstum sogar befördern.
Voraussetzung dafür ist entschiedenes politisches Handeln. Wenn die Politik verlässlich die Richtung vorgibt, können Unternehmen, Behörden und Privathaushalte sich darauf einstellen und entsprechend investieren. "Ein glaubwürdiges Engagement für den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaftsweise, mit einem ehrgeizigen Ziel und entsprechenden politischen Maßnahmen" befördere Klimaschutz und Wachstum, sagte Carlo Jäger vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Die Experten des PIK haben die Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums gemeinsam mit Forschern der Universität Oxford, der Pariser Sorbonne-Universität, der National Technical University of Athens und des European Climate Forum erstellt. Ihre Forderung: Europa solle seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 Prozent senken statt nur um 20 Prozent, wie bisher geplant. So könne der Kontinent seine wirtschaftliche Stagnation überwinden. Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, seien Investitionen nötig, die bis zu sechs Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könnten. Auch das jährliche Wirtschaftswachstum würde kräftiger. "Das ist eine neue Chance, ein Wachstumspfad für Europa", sagte PIK-Klimaforscher Jäger.
Profitieren würde vor allem das Baugewerbe. Eine effizientere Nutzung von Energie hängt stark davon ab, wie gut Gebäude gedämmt sind. Auch die erneuerbaren Energien würden an Bedeutung gewinnen. Windkraft und Erdgas würden wichtiger. Um die Versorgung mit Gas in ganz Europa zu gewährleisten, müssten Transport- und Lagerinfrastruktur ausgebaut werden, schreiben die Forscher. In Deutschland werde so die gesamte Wirtschaftsleistung im Jahresdurchschnitt um 2,4 statt 1,8 Prozent wachsen, lautet das Ergebnis ihrer Berechnungen. Die Arbeitslosenquote werde dann von 8,5 auf bis zu 5,6 Prozent sinken.
Ihren Modellrechnungen legten die Wissenschaftler die Annahme zugrunde, dass kein internationales Klimaschutzabkommen größere Anstrengungen erzwingt. Falls doch noch ein ambitioniertes Abkommen zustande käme, seien die positiven Auswirkungen für Europa noch größer, schreiben sie in ihrer Studie (hier als .pdf zum Download). Verharre man hingegen beim 20-Prozent-Ziel, "wäre das, als ob jemand, der in einem Loch steckt, sich noch tiefer eingräbt".
Ebenso wie die Volkswirte geht auch die EU-Kommission davon aus, dass die Märkte das Potenzial von Investitionen in den Klimaschutz verkennen. Die Behörde hält in den nächsten Jahren umfassende zusätzliche Investitionen in Energienetze, Passivhäuser, Elektroautos und Industrieanlagen für nötig. Etwa 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung müssten dafür aufgewendet werden.
Die EU hat schon angeboten, das Ziel auf 30 Prozent zu erhöhen, wenn die anderen Industrie- und Schwellenländer vergleichbare Angebote machen. Im Moment allerdings deutet vieles darauf hin, dass Europa nicht einmal die 20-Prozent-Marke schafft. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte zuletzt gewarnt, die EU drohe ihre Energiesparziele deutlich zu verfehlen. Auch die deutsche Regierung ist intern nicht einig über ihren Kurs in der Energie- und Klimapolitik. Selbst Umweltminister Röttgen legte wenig Nachdruck in die Präsentation der neuen Studie: Statt selbst nach Brüssel zu reisen, schickte er Nachrichtenagenturen zufolge seine Staatssekretärin Katherina Reiche.