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Gletscherforschung in der Höhle: Bizarre Welt

Foto: Bogdan P. Onac

Gletscher-Debatte Brisantes Klimaarchiv auf Mallorca entdeckt

Die Eiszeiten auf der Erde könnten anders abgelaufen sein als bisher vermutet. Das glauben zumindest einige Forscher nach Untersuchungen auf Mallorca. Demnach waren die Polkappen vor 81.000 Jahren ebenso klein wie heute - trotz niedriger CO2-Werte. Doch wie aussagekräftig sind die Ergebnisse?
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Die Geheimnisse der Tiefe bleiben vielen Urlaubsgästen verborgen. Dabei ist der Boden von Mallorca löchrig wie ein Schweizer Käse. Im weichen Kalk der Ferieninsel sind zahllose Höhlen versteckt, die das Wasser über die Jahrtausende in das Gestein gespült hat. Besonders groß und prächtig ist die Tropfsteinhöhle von Vallgornera im Süden der Sonneninsel. Und ausgerechnet dort wollen Forscher nun Hinweise darauf gefunden haben, dass die Geschichte der Vergletscherung unserer Erde ganz anders abgelaufen sein könnte als bisher vermutet.

Ein Wissenschaftlerteam um Jeffrey Dorale von der University of Iowa hat Mineralablagerungen aus Vallgornera und aus vier anderen küstennahen Kavernen untersucht. Mit Hilfe sogenannter Speläotheme - zu denen Stalagmiten und Stalaktiten gehören - haben die Forscher die Geschichte des Meeresspiegels rund um Mallorca rekonstruiert. Mal wurden die Höhlen von den Fluten des Mittelmeers gefüllt, mal lagen sie frei - je nachdem, wie stark die Erde von Gletschern bedeckt war.

Denn unser Planet pendelt zwischen den Extremen: Immer wieder wechseln sich kalte Phasen, die sogenannten Glaziale, mit wärmeren Zeiträumen, den sogenannten Interglazialen, ab. In der jüngeren Vergangenheit geschah das in einem Zyklus von etwa 100.000 Jahren. Extrem warm war es zuletzt vor 125.000 Jahren, besonders frostig vor rund 20.000 Jahren. Zumindest eine Mitschuld an dem Rhythmus sollen die sogenannten Milankovic-Zyklen haben, nach denen die Sonneneinstrahlung auf der Erde periodisch schwankt. Ersonnen hatte das Konzept der serbische Ingenieur und Mathematiker Milutin Milankovic vor fast 100 Jahren. Der 100.000-Jahr-Zyklus ergibt sich demnach, weil der Radius der Erdbahn um die Sonne schwankt. Weitere Zyklen, verursacht durch regelmäßige Veränderungen der Erdachse, sind etwa 23.000 und rund 41.000 Jahre lang.

"Meeresspiegel mit wirklich hoher Präzision rekonstruiert"

In der Zeit zwischen dem letzten Glazial und dem letzten Interglazial veränderte sich der Meeresspiegel um geschätzte 130 Meter: Bei starker Vergletscherung lagen die Pegel besonders niedrig - und umgekehrt. Je nach Höhe des Meeresspiegels seien auf den Speläothemen in den Höhlen Mallorcas charakteristische Ablagerungen aus Calcit oder Aragonit zurückgeblieben, berichten die Forscher um Dorale im Fachmagazin "Science".

Bei der Datierung ihrer Proben mit der Uran-Thorium-Methode kamen die Wissenschaftler zu einem überraschenden Befund: Die Ablagerungen deuten demnach darauf hin, dass der Meeresspiegel vor rund 81.000 Jahren etwa einen Meter über dem aktuellen Wert lag. "Wir haben den Meeresspiegel mit wirklich hoher Präzision rekonstruiert", sagt Forscher Dorale im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Doch lassen sich mit Messungen an einem Punkt überhaupt verlässliche Aussagen zu den globalen Pegeln machen? "Wir glauben, dass unsere Stelle großartig dafür geeignet ist", sagt Co-Autor Bogdan Onac von der University of South Florida. Mallorca sei tektonisch stabil. Außerdem habe sich die Insel durch das Anwachsen und Schmelzen der riesigen Gletscher weder gehoben noch gesenkt, so wie es in anderen Regionen der Fall war.

"Keine direkten Aussagen zu den globalen Temperaturen"

Falls der Meeresspiegel vor 81.000 Jahren tatsächlich dort lag, wo es die Forscher in "Science" vermuten, würden sich interessante Fragen ergeben. Dann wäre nämlich die Vergletscherung der Erde damals ähnlich niedrig gewesen wie heute, obwohl die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid bei weitem niedriger lag.

Diese These birgt für die Klimaforschung einigen Zündstoff: Der bisher vermutete 100.000-Jahr-Zyklus ließe sich dann zwar auf die Konzentrationen der Treibhausgase CO2 und Methan anwenden, nicht jedoch auf das Wachstum der polaren Eiskappen - auch wenn Dorale einschränkt: "Unsere Arbeit macht keine direkten Aussagen zu den globalen Temperaturen."

Andere Forscher reagieren skeptisch auf die Ergebnisse. Andrey Ganopolski vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hält die Schlussfolgerungen für "übertrieben". Sie belegten keineswegs, dass der 100.000-Jahr-Zyklus nicht universell gelte. Die Ergebnisse des Dorale-Teams ließen sich mit Hilfe der Milankovic-Zyklen erklären. In der Zeit vor rund 81.000 Jahren seien die Sommer in den hohen Breiten durch kräftige Sonneneinstrahlung extrem warm gewesen. So sei es trotz vergleichsweise niedriger CO2-Werte zur großen Schmelze gekommen.

Auch Heinz Miller vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) will der neuen Arbeit keine weltweite Aussagekraft zubilligen. Die Forscher um Dorale hätten "ein vielversprechendes Archiv" aufgetan, lobt der Glaziologe. "Doch ich würde dem Ergebnis eher lokale als globale Bedeutung beimessen." Änderungen des Meeresspiegels könnten regional ganz unterschiedlich ausfallen.

Dass das Treibhausgas nicht der einzige Faktor für Temperaturänderungen während der Eiszeitzyklen ist, hatte PIK-Forscher Ganopolski bereits in der Vergangenheit mit globalen Klimamodellen dargelegt. Neben den Milankovic-Zyklen spielten demnach auch durch die Gletscherschmelze veränderte Meeresströmungen eine Rolle. "Man sollte nicht versuchen, erdgeschichtliche Klimaänderungen nur über CO2 zu erklären", meint Ganopolski.

Kritiker der These vom menschlichen Einfluss auf den Klimawandel werden sich die aktuellen Ergebnisse vermutlich zu eigen machen, so wie sie es bereits mit Ganopolskis früheren Resultaten getan haben - gegen seinen Willen, wie der Potsdamer Forscher erklärt. Und auch Dorale und Onac wollen Klimawandel-Skeptikern ausdrücklich keine Munition liefern, wie sie im Gespräch betonen. Denn am Einfluss des Menschen auf die aktuelle Erwärmung der Erdatmosphäre haben sie keinen Zweifel: "Was vor 80.000 Jahren passierte, ist nicht dasselbe wie das, was heute passiert", so Onac.

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