DER SPIEGEL 33/2001 - 13. August 2001
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Astronomie
 
Suche nach der Zwillingserde

Wie viele fremde Himmelskörper sind belebt? Fast monatlich finden Astronomen neue Planeten außerhalb des Sonnensystems. Mit jeder weiteren Entdeckung erscheint die Erde einzigartiger - und selbst diese Oase des Lebens wird viel früher unbewohnbar werden als bislang gedacht.

Bei dem Weltuntergang im Sternbild Wasserschlange kam niemand ums Leben. Auf dem jungen Gesteinsplaneten waren noch nicht einmal erste Mikroben entstanden, als er von einem benachbarten Gasplaneten aus seiner Umlaufbahn gestoßen wurde. Rot glühend stürzte der kleinere Himmelskörper in den Fixstern HD82943 und verdampfte.

Der Gasplanet überstand das kosmische Billardspiel ohne größere Schäden. Allerdings taumelt er seither auf einer extrem unregelmäßigen Umlaufbahn um seinen 90 Lichtjahre von der Erde entfernten Stern.

Auf die Spur der Planetenverbrennung, die sich vor wenigen Millionen Jahren ereignete, kam jetzt Garik Israelian vom Astrophysikalischen Institut auf Teneriffa. Als der Forscher aus dem Lichtspektrum von HD82943 die chemische Zusammensetzung des Sterns herausfilterte, fand er in dessen Gashülle überraschend hohe Mengen an Lithium-6 - ein seltenes Metall, das gewöhnlich nur auf Planeten vorkommt.

Die erstaunliche Entdeckung dämpft die Hoffnung der Himmelsforscher, überall in der Milchstraße Zwillingsschwestern der Erde zu finden. Ist es womöglich gar der Normalfall, dass sich in einem neuen Sonnensystem die heranwachsenden Planeten gegenseitig aus der Bahn schubsen und zerstören? Verdrängen vielerorts die großen Gasplaneten die kleinen Gesteinsplaneten und nehmen ihre Plätze ein?

Das wiederum würde bedeuten, dass die dauerhafte Existenz erdähnlicher Planeten doch unwahrscheinlicher ist als erwartet. Es wäre zugleich ein Rückschlag für die Fahndung nach außerirdischen Lebensformen: Denn nur auf der festen Oberfläche eines erdähnlichen Planeten kann, wenn dieser moderat von seiner Sonne beheizt wird, Leben entstehen und sich zu immer höheren Formen emporentwickeln. Auf den weit schwereren Gasplaneten hingegen, die ähnlich wie die Sonne vor allem aus gewaltigen Mengen an Wasserstoff bestehen, herrschen viel zu mörderische Temperaturen und Drücke: Keine höhere Lebensform hält es dort aus.

Die vorzeitliche Katastrophe im Sternbild Wasserschlange könnte zugleich helfen, ein Rätsel zu lösen, das den Astronomen zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Warum nur, so grübeln die Himmelsforscher, bewegen sich die außerhalb des irdischen Sonnensystems gefundenen Planeten meist auf so seltsamen Umlaufbahnen?

Bereits über 60 ferne Sternenbegleiter haben die Astrophysiker in den letzten Jahren aufgespürt. Und in immer kürzeren Abständen gehen den Planetenjägern weitere ins Netz. "Doch alle bisher nachgewiesenen extrasolaren Planetensysteme", wundert sich der Schweizer Astronom Willy Benz, "scheinen vollkommen anders zu sein als unser eigenes."

Weil die indirekten Nachweismethoden noch zu grob sind, finden die Forscher derzeit nur die massereichen Gasplaneten. Für erdähnliche Himmelskörper, die allein als Oasen des Lebens in Frage kommen, sind die Suchtechniken vorerst nicht empfindlich genug. Dennoch bietet sich den Forschern eine bizarre Vielfalt. So haben sie kürzlich einen Monsterplaneten entdeckt, der über 5000-mal so viel wiegt wie die Erde.

Was die Forscher besonders verstört: Während die eigenen Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun auf relativ gleichmäßigen Kreisbahnen die Sonne umrunden, bewegen sich viele der extrasolaren Gasplaneten auf unregelmäßigen Ellipsenbahnen durch den Raum. Der kürzlich von einem Team des Genfer Observatoriums entdeckte Begleiter von HD80606 beispielsweise nähert sich seinem Stern einmal pro Umlauf bis auf 5 Millionen Kilometer, um dann wieder bis auf 127 Millionen Kilometer Entfernung davonzueilen. Zum Vergleich: Die Erde hält zur Sonne ziemlich konstant einen Abstand von rund 150 Millionen Kilometern.

Auffallend ist zudem, wie nahe fast alle extrasolaren Planeten ihrem Stern kommen. Viele von ihnen benötigen nicht ein Jahr wie die Erde, um ihre Sonnen zu umrunden, sondern nur wenige Tage. Entsprechend lebensfeindlich ist es auf diesen bis zu 2000 Grad Celsius heißen Himmelskörpern. "Diese Röstöfen", scherzt der US-Planetenjäger Geoff Marcy, "sind ein guter Platz, um Hühnchen zu grillen."

Für die Astrophysiker steht fest, dass die heißen Gasplaneten auf keinen Fall dort entstanden sein können, wo sie heute ihre Runden drehen. Denn sonst hätte der heiße Atem ihrer Sterne die planetaren Gashüllen längst verdampft. Hat es also auch in anderen Sonnensystemen ein ähnlich folgenschweres Planeten-Billard gegeben wie bei HD82943?

Nach dem neuen Modell der Planetenentstehung vertragen sich die großen Gasplaneten und kleinen Gesteinsplaneten am Anfang meist noch ganz gut. An vielen Orten der Galaxis bilden sie sich gemeinsam aus einem Urnebel, der von der Geburt der jeweiligen Sonne übrig geblieben ist: die erdähnlichen Himmelskörper in der Nähe des Sterns - die jupiterähnlichen in größerer Entfernung, weil nur weiter draußen die Gasmassen kondensieren. Werden nun aber im Laufe der Jahrmillionen zu viele oder zu schwere Gasgiganten ausgebrütet, gerät das Planeten-Mobile aus dem Gleichgewicht.

"Die Entstehung von Planeten ist offenbar ein chaotischer Prozess", resümiert das Fachmagazin "Astronomy", "bei dem erdähnliche Planeten häufig aus dem Sternensystem geschleudert werden und die jupiterähnlichen Riesen übrig bleiben."

Eine neue Computersimulation hat gezeigt, dass es auch das irdische Sonnensystem beinahe zerrissen hätte. Wäre Jupiter nur etwas schwerer geworden oder wäre in seiner Nähe ein zweiter Jupiter entstanden, wäre das ganze System instabil geworden: Mit ihren geballten Gravitationskräften hätten die Gasriesen die kleinen Gesteinsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars allesamt in den interstellaren Raum katapultiert - und hätten deren Plätze an der Sonne eingenommen. Das düstere Szenario stimmt die Planetenforscher nachdenklich. "Das planetare Kartenhaus, das wir Sonnensystem nennen", orakelt Marcy, "gehört vielleicht zu den wenigen, die nicht in sich zusammengefallen sind."

Der australische Physiker Charles Lineweaver hat jetzt ein Modell entwickelt, um abzuschätzen, unter welchen Bedingungen Planetensysteme instabil werden. Ihm war aufgefallen, dass die neu entdeckten Gasplaneten fast alle um Sonnen kreisen, die einen ungewöhnlich hohen Anteil schwerer Elemente besitzen.

Lineweavers Erklärung: Enthält ein Urnebel, aus dem sich ein Sonnensystem bildet, zu wenig schwere Elemente, so können überhaupt keine Planeten entstehen; dann treibt der Stern ohne Begleiter durchs All. Ist die Konzentration von schweren Elementen jedoch zu hoch, werden die heranwachsenden Gasplaneten zu schwer und bringen mit ihrer ungeheuren Gravitationskraft alles durcheinander.

In seiner vor wenigen Wochen erschienenen Modellrechnung hat der Physiker erstmals ermittelt, wie viele Sterne folglich von erdähnlichen Planeten umkreist werden - und schränkt damit die Zahl möglicher Zwillingserden weiter ein.

Nur bei jedem 100. Stern, hat Lineweaver errechnet, können auch kleinere Gesteinsplaneten wie die Erde dauerhaft existieren. Daraus ergibt sich aber immer noch eine phantastisch hohe Zahl: Allein in der Milchstraße wären das vier Milliarden Sonnensysteme mit erdähnlichen Planeten.

"Bei meiner Analyse kommt auch heraus, dass drei Viertel aller erdähnlichen Planeten im Universum älter sein müssen als die Erde", erläutert Lineweaver. Im Durchschnitt hat die Schöpfung auf einer typischen Zwillingserde somit zwei Milliarden Jahre länger Zeit gehabt, um Flöhe, Tintenfische und Fasane auszubrüten.

Allerdings reicht das bloße Vorhandensein eines Gesteinsplaneten noch bei weitem nicht aus, um auch wirklich Leben hervorzubringen. Von den fünf Gesteinsplaneten im Sonnensystem hat es bekanntlich nur einer geschafft. Viele weitere Zutaten sind nötig, damit ein erdähnlicher Planet tatsächlich zu einer Oase des Lebens wird. Hat er eine zu geringe Masse, vermag er keine schützende Atmosphäre zu halten. Rotiert er zu langsam, werden die täglichen Temperaturunterschiede zu extrem. Auch seine Sonne muss die richtige Größe haben: Massereiche und helle Sterne beispielsweise sind schon nach wenigen Millionen Jahren ausgebrannt, weil sie zu verschwenderisch mit ihren Energievorräten umgehen; ein so kurzer Zeitraum reicht nicht aus, um auf einem ihrer Planeten den Lebensfunken zu entzünden.

Ist der Planet Erde also doch einmalig, entstanden aus einer unfassbaren Kette von Zufällen? "Wir sind nicht der Mittelpunkt des Universums", schreiben der Geologe Peter Ward und der Astronom Donald Brownlee in ihrem soeben erschienenen Buch "Unsere einsame Erde"*. "Aber wir sind auch nicht so gewöhnlich, wie die westliche Wissenschaft uns in den letzten 2000 Jahren glauben machen wollte."

Brownlee und Ward gehen davon aus, dass Mikroben viel häufiger im Universum vorkommen als angenommen; die Forscher verweisen darauf, dass in den vergangenen Jahren Bakterien gefunden wurden, die noch extremste Bedingungen überstehen: kilometertief unter der Erde, in kochenden Geysiren oder im Eispanzer am Südpol. Komplexere Lebensformen hingegen gibt es nach Ansicht der beiden Forscher weitaus seltener: "Sind wir eine Bastion höheren Lebens inmitten eines mit Mikroorganismen durchsetzten Ozeans?"

Nicht ganz so niederschmetternd erscheint indes, was nun Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) herausgefunden haben. Das Team um den Physiker Siegfried Franck hat errechnet, dass es doch erstaunlich viele bewohnbare Planeten in der Milchstraße geben dürfte.

Mit ihrem ursprünglich für die Simulation der irdischen Biosphäre entwickelten Computermodell haben die PIK-Forscher durchgespielt, unter welchen Bedingungen ein Planet gerade noch einfache Lebensformen beherbergen kann. Entscheidend ist der richtige Abstand zum jeweiligen Stern, damit auf der Planetenoberfläche weder (wie beim Mars) ewige Eiszeit noch (wie auf der Venus) eine Treibhaushölle herrscht. Ebenso wichtig wie moderate Temperaturen ist aber auch eine Mindestmenge an Kohlendioxid in der Planetenatmosphäre: Pflanzen benötigen eine gewisse Konzentration dieses Treibhausgases, um wachsen und gedeihen zu können - und so für Tiere und Menschen die Luft zum Atmen zu produzieren.

Sonneneinstrahlung und CO2-Konzentration stehen zudem in einem komplexen Wechselspiel miteinander: Empfängt ein Planet mehr Strahlungswärme von seinem Stern, so verdunstet mehr Wasser und wäscht das Treibhausgas aus der Atmosphäre heraus - was dann automatisch zu einer Abkühlung führt.

"Das Klima eines Planeten wird wie von einem natürlichen Thermostaten reguliert", erläutert Franck, "allerdings bricht diese naturgegebene Klimaanlage zusammen, wenn nicht mehr genügend CO2 in der Atmosphäre vorhanden ist." Unter Verwendung ihres Klimamodells haben die PIK-Forscher für die verschiedenen Sternentypen der Galaxis durchgerechnet, ob diese für ausreichend lange Zeit über solche "bewohnbare Zonen" verfügen. Das erstaunliche Ergebnis: "Nach unseren Berechnungen", sagt Franck, "könnte es in der Milchstraße rund 50 Millionen bewohnbare Planeten wie die Erde geben."

Eine böse Überraschung erlebten die Potsdamer allerdings, als sie simulierten, wie es mit der bewohnbaren Zone im eigenen Sonnensystem weitergeht. Das Problem besteht darin, dass die Sonne immer stärker scheint. Alle einhundert Millionen Jahre nimmt ihre Leuchtkraft um ein Prozent zu. Durch diesen Effekt wird die bewohnbare Zone immer schmaler. Die Folge: Das Ende für jegliches Leben auf der Erde kommt weit früher als angenommen.

Bislang erwarteten die Astronomen frühestens in fünf Milliarden Jahren eine Art solares Fegefeuer: Dann nämlich bläht sich die Sonne unaufhaltsam zu einem "Roten Riesen" auf und verschluckt die innersten Planeten Merkur und Venus. Auf der Erde verdampft das Wasser der Ozeane. Schließlich schmelzen auf ihrer staubtrockenen Oberfläche die Berge wie Butter.

Doch diese Apokalypse wird kein Erdenwurm mehr erleben. Nach den neuen Klimaberechnungen wird die Erde bereits in rund 500 Millionen Jahren unbewohnbar werden. Denn zu diesem Zeitpunkt ist das Treibhausgas CO2 so gut wie vollständig aus der Atmosphäre herausgewaschen.

Die Folge: Erst verkümmern alle Bäume und Sträucher, dann wächst auf der Erde auch kein Gras mehr. Menschen und Tieren geht die Luft zum Atmen aus. "Bevor uns die Sonne röstet", sagt Franck, "werden wir längst erstickt sein."

OLAF STAMPF


 


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