Biologischer Urknall
Das Leben explodierte in der Kälte
Von Markus Becker
Es war der Urknall der Biologie: Vor rund 500 Millionen Jahren kam es auf der Erde zur schlagartigen Ausbreitung von Leben. Deutsche Forscher glauben, das Rätsel der "Kambrischen Explosion" jetzt gelöst zu haben. Die Erde funktioniert demnach wie ein riesiger Organismus, und das All könnte voller belebter Planeten sein.
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Der biologische Urknall gilt als größtes Rätsel der Paläontologie und auch der Astrobiologie, seine Lösung könnte wichtige Rückschlüsse auf die Entwicklung von Leben auf der Erde und auch auf fremden Planeten ermöglichen. In zahlreichen Abhandlungen haben Wissenschaftler versucht, die Kambrische Explosion entweder mit externen Umwelteinflüssen oder internen biologischen Vorgängen zu erklären. Spökenkieker sehen in ihr gar den göttlichen Schöpfungsakt, da die plötzliche Ausbreitung der Arten scheinbar Darwins Evolutionstheorie widerspricht, nach der sich das Leben kontinuierlich entwickelt.
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Rückkopplung begann vor 542 Millionen Jahren
"Wir glauben, dass höheres Leben nur auf Planeten mit einer Globaltemperatur von unter 30 Grad Celsius existieren kann", erklärte Bloh im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Höhere Temperaturen seien ungünstig für die Strukturbildung in Vielzellern und für die Energiegewinnung innerhalb von Organismen. Verschiedene Hypothesen legten zudem nahe, dass sich auch komplexe Nervensysteme oder gar hoch entwickelte Organe wie das menschliche Gehirn nicht bei einer Globaltemperatur über 30 Grad entwickeln können. "Nach unseren Computermodellen wurde diese kritische Schwelle auf der Erde erstmals vor 542 Millionen Jahren unterschritten, nachdem nachlassender Vulkanismus und der Zerfall radioaktiver Elemente im Innern die Erde langsam hatten auskühlen lassen."
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Leben formte die Umwelt
Dieser Rückkopplungseffekt führte zu einem drastischen Temperatursturz sowie zu einem raschen Anwachsen von Biomasse und Artenvielfalt. "Die höheren Lebensformen schafften sich ihre Umweltbedingungen praktisch selbst, indem sie einen Temperaturabfall auslösten", sagte Bloh.
Die Forscher gehen noch weiter: Ihrer Meinung nach findet ein solcher Prozess und damit die Entwicklung von höherem Leben zwangsläufig auf jedem erdähnlichen Planeten statt. "Die globale Abkühlung und der mit ihr verbundene Rückkopplungseffekt sind nicht aufzuhalten", sagt Bloh. Die Chancen, dass intelligentes Leben außerhalb unseres Sonnensystems existiert, würden dadurch steigen - zumal auch jüngere Planeten als die Erde Leben beherbergen könnten. "Die globale Abkühlung kann durch besondere Ereignisse wie etwa den Einschlag von Meteoriten oder den Aufbruch der Kontinentalfläche beschleunigt werden. Verzögern lässt sie sich nicht."
"Höheres Leben entsteht zwingend"
Der Evolutionsbiologe Simon Conway Morris stellte jüngst im Gespräch mit dem SPIEGEL die Theorie der konvergenten Evolution vor, nach der die Entwicklung vom Einzeller zum intelligenten Zweibeiner ein Muss ist. Unter dieser Voraussetzung macht die Potsdamer Hypothese gar ein Weltall voller menschenähnlicher Aliens vorstellbar - schöne Grüße vom Raumschiff Enterprise. "Natürlich treffen wir keine Aussagen über den Verlauf der Evolution", betont Bloh. "Aber unser Modell besagt, dass höheres Leben zwingend entsteht - im Zweifel eher früher als später."
Die Theorie untermauere ferner die "Gaia-Theorie", nach der die Erde wie ein lebender, sich selbst regulierender Organismus funktioniert. "Die Biosphäre reagiert auf veränderte Bedingungen und kann ihre Umwelt aktiv beeinflussen, indem sie Verwitterung fördert", meint der Physiker. Der Beweis sei die Tatsache, dass die globale Temperatur seit der Kambrischen Explosion erstaunlich stabil geblieben sei. Allerdings seien auch diesem Mechanismus Grenzen gesetzt: Die Sonne dehnt sich aus und strahlt immer größere Energie ab. "In 800 Millionen Jahren", sagt Bloh, "wird der Stress durch die Sonnenstrahlung zu groß. Die höheren Lebensformen werden aussterben."
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Zum Thema:
In SPIEGEL ONLINE:
· Fossile Sensation: Australier entdeckt ältestes Wirbeltier der Welt (23.10.2003)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/erde/0,1518,271010,00.html· Wahrnehmung: Sehen ohne Augen (01.11.2003)
http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,272651,00.html· Evolution: "Delfine wären uns überlegen" (29.09.2003)
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,267508,00.html· Interview zur Astrobiologie: "Auf Europa könnte man am ehesten Leben aufspüren" (31.07.2003)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltraum/0,1518,259395,00.html· Nautiloiden-Fossil: Forscher entdecken riesenwüchsigen Ur-Tintenfisch (02.05.2003)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/erde/0,1518,246973,00.html
Im Internet:
· Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
http://www.pik-potsdam.de/· "Geophysical Research Letters"
http://www.agu.org/GRL/