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08.10.2003

Und plötzlich war Leben

Potsdamer Wissenschaftler halten globale Abkühlung für den Start der Artenvielfalt / Komet als möglicher Auslöser

Von Jan Kixmüller

Wieso gibt es eigentlich „erst“ seit 542 Millionen Jahren höher entwickeltes Leben auf der Erde? Immerhin ist unser Planet schon rund 4,6 Milliarden Jahre alt. Hat das Leben knappe vier Milliarden Jahre gebraucht, um den Sprung vom primitiven Einzeller zu den modernen Lebewesen, Wirbel- und Säugetieren zu schaffen? Die Frage führt geradewegs zu einem der großen Geheimnisse der Erdgeschichte. Vor ungefähr 542 Millionen Jahren, dem Beginn des Kambriums, gab es eine Art „Big Bang“ in der Biologie. Von diesem Moment an entwickelte sich die Artenvielfalt explosionsartig auf der Erde, eine Entwicklung, die bis hin zum intelligenten Homo Sapiens reichte. Zuvor vegetierten einige Milliarden von Jahren nur primitive Einzeller im Urschleim vor sich hin. Wie kam es zu diesem plötzlichen Umschwung?

Wissenschaftler des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben nun versucht, das Ereignis mit einer neuen Hypothese zu erklären. Die Geophysiker Werner von Bloh, Christine Bounama und Siegfried Franck gehen davon aus, dass die allmähliche Abkühlung des Klimas zu Beginn des Kambriums den plötzlichen Entwicklungsschub ausgelöst hat. Der junge Forscher Werner von Bloh zeigt es auf einem Diagramm: Vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren herrschte noch eine globale Oberflächentemperatur von rund 90 Grad Celsius (heute 15 Grad). Im Zuge der Abkühlung durch die Kontinententstehung ging die Temperatur langsam auf knapp über dreißig Grad zurück, und dann gab es plötzlich einen Sprung auf unter 20 Grad: Die Bedingungen für die Entstehung der höheren Lebewesen wurden schlagartig ideal. Die Temperatur war unter einen Schwellenwert gesunken, ab dem sich komplexe, mehrzellige Lebensformen entwickeln konnten. Es tauchten fast alle heutigen Tierstämme auf, wobei der Trilobit (Dreilappkrebs) das bekannteste Fossil dieser Zeit ist. Das Leben auf der Erde führte nach Ansicht der Forscher sogar noch zu einer Verstärkung der Abkühlung, eine positive Rückkopplung, wie von Bloh erklärt. Durch die Pflanzen wurde das Treibhausgas Kohlendioxid in der Atmosphäre verringert, womit es zum Absinken der Oberflächentemperatur kam.

Die Forscher haben in ihrem in der aktuellen Ausgabe der Geophysical Research Letters (Vol. 30, Nr. 18, 2003) veröffentlichten Beitrag den Mechanismus der Kambrischen Explosion erklärt. Eine endgültige Antwort auf die Frage, wieso es gerade zu diesem Zeitpunkt zu diesem abrupten Temperatursturz kam, kann das Team allerdings nicht geben. In Frage kommen Ereignisse von außen, etwa der gigantische Einschlag eines riesigen Kometen, der durch einen Anstieg der Aerosole in der Atmosphäre zu der Abkühlung geführt hat. Oder etwa das Auseinanderbrechen eines Superkontinents. Dass es irgendwann zur Kambrischen Explosion gekommen wäre, steht außer Frage. Doch nach dem heutigen Wissensstand hätte die Erdtemperatur erst sehr viel später die Schwelle erreicht, ab der die Artenvielfalt möglich wurde. Durch ein unbekanntes Ereignis wurde die Entwicklung sozusagen früher losgetreten, als zu erwarten gewesen wäre.

„Interessant ist die Frage des Zeitpunktes der Kambrischen Explosion auch bei der Suche nach Leben auf erdähnlichen Planeten“, bemerkt Prof. Siegfried Franck vom PIK. Die Frage ist, ob das Leben vier Milliarden Jahre brauchte, um höhere Formen zu entwickeln, oder ob dies auch schon nach kürzerer Zeit möglich ist, wenn die äußeren Bedingungen, allen voran die Oberflächentemperatur, es zulassen. Betrachtet man das stattliche Alter unserer Erde, so lässt sich feststellen, dass die Entwicklung des höheren Lebens relativ gesehen einen recht schnellen Verlauf nahm: Gerade Mal ein Neuntel der Erdgeschichte sind seit der Kambrischen Explosion vergangen. Da die Potsdamer Forscher der Meinung sind, dass das Absinken der Temperatur – wodurch auch immer ausgelöst – der entscheidende Faktor für den biologischen „Big Bang“ war, hätte die Entwicklung bei entsprechender Temperatur auch schon früher stattfinden können.

Für ihre Forschungsarbeit nutzte das Potsdamer Team ein bereits entwickeltes Erdsystemmodell, das die Wechselwirkungen zwischen der Geosphäre und der Biosphäre in geologischen Zeiträumen beschreibt. Sie betrachteten die allmähliche Abkühlung als den Auslöser der Kambrischen Explosion und untersuchten dann die Stabilität des Erdsystems gegenüber einem plötzlichen Absinken der globalen Oberflächentemperatur vor der Kambrischen Ära. „Dabei stellten wir fest, dass gerade am Ende des Präkambriums geringe Temperaturänderungen ausgereicht hätten, um das Einsetzen der Kambrischen Explosion vorzudatieren.“, so die Forscher.

Wenn auch die Wissenschaftler nicht sagen können, wieso die Artenvielfalt gerade vor 542 Millionen Jahren einsetzte, so wird ihre Hypothese dazu beitragen, die komplexen Prozesse im sich selbst regulierenden Erdsystem besser zu verstehen. Und der Blick auf die Diagramme lässt auch noch ein weitern Schluss zu: Die Oberflächentemperatur – abhängig vom Sonnenlicht – dürfte noch die kommenden 800 Millionen Jahre unsere Lebensform ermöglichen. „Wir befinden uns gerade in einer optimalen Zeitspanne für unsere Entwicklung“, so Prof. Siegfried Franck.


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