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Und plötzlich war LebenPotsdamer Wissenschaftler halten globale Abkühlung für den Start der Artenvielfalt / Komet als möglicher Auslöser
Von Jan Kixmüller
Wieso
gibt es eigentlich „erst“ seit 542 Millionen Jahren höher entwickeltes
Leben auf der Erde? Immerhin ist unser Planet schon rund 4,6 Milliarden
Jahre alt. Hat das Leben knappe vier Milliarden Jahre gebraucht, um den
Sprung vom primitiven Einzeller zu den modernen Lebewesen, Wirbel- und
Säugetieren zu schaffen? Die Frage führt geradewegs zu einem der großen
Geheimnisse der Erdgeschichte. Vor ungefähr 542 Millionen Jahren, dem
Beginn des Kambriums, gab es eine Art „Big Bang“ in der Biologie. Von
diesem Moment an entwickelte sich die Artenvielfalt explosionsartig auf
der Erde, eine Entwicklung, die bis hin zum intelligenten Homo Sapiens
reichte. Zuvor vegetierten einige Milliarden von Jahren nur primitive
Einzeller im Urschleim vor sich hin. Wie kam es zu diesem plötzlichen
Umschwung?
Wissenschaftler des Potsdam Instituts für
Klimafolgenforschung (PIK) haben nun versucht, das Ereignis mit einer
neuen Hypothese zu erklären. Die Geophysiker Werner von Bloh, Christine
Bounama und Siegfried Franck gehen davon aus, dass die allmähliche
Abkühlung des Klimas zu Beginn des Kambriums den plötzlichen
Entwicklungsschub ausgelöst hat. Der junge Forscher Werner von Bloh
zeigt es auf einem Diagramm: Vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren
herrschte noch eine globale Oberflächentemperatur von rund 90 Grad
Celsius (heute 15 Grad). Im Zuge der Abkühlung durch die
Kontinententstehung ging die Temperatur langsam auf knapp über dreißig
Grad zurück, und dann gab es plötzlich einen Sprung auf unter 20 Grad:
Die Bedingungen für die Entstehung der höheren Lebewesen wurden
schlagartig ideal. Die Temperatur war unter einen Schwellenwert
gesunken, ab dem sich komplexe, mehrzellige Lebensformen entwickeln
konnten. Es tauchten fast alle heutigen Tierstämme auf, wobei der
Trilobit (Dreilappkrebs) das bekannteste Fossil dieser Zeit ist. Das
Leben auf der Erde führte nach Ansicht der Forscher sogar noch zu einer
Verstärkung der Abkühlung, eine positive Rückkopplung, wie von Bloh
erklärt. Durch die Pflanzen wurde das Treibhausgas Kohlendioxid in der
Atmosphäre verringert, womit es zum Absinken der Oberflächentemperatur
kam.
Die Forscher haben in ihrem in der aktuellen Ausgabe der
Geophysical Research Letters (Vol. 30, Nr. 18, 2003) veröffentlichten
Beitrag den Mechanismus der Kambrischen Explosion erklärt. Eine
endgültige Antwort auf die Frage, wieso es gerade zu diesem Zeitpunkt
zu diesem abrupten Temperatursturz kam, kann das Team allerdings nicht
geben. In Frage kommen Ereignisse von außen, etwa der gigantische
Einschlag eines riesigen Kometen, der durch einen Anstieg der Aerosole
in der Atmosphäre zu der Abkühlung geführt hat. Oder etwa das
Auseinanderbrechen eines Superkontinents. Dass es irgendwann zur
Kambrischen Explosion gekommen wäre, steht außer Frage. Doch nach dem
heutigen Wissensstand hätte die Erdtemperatur erst sehr viel später die
Schwelle erreicht, ab der die Artenvielfalt möglich wurde. Durch ein
unbekanntes Ereignis wurde die Entwicklung sozusagen früher
losgetreten, als zu erwarten gewesen wäre.
„Interessant ist die
Frage des Zeitpunktes der Kambrischen Explosion auch bei der Suche nach
Leben auf erdähnlichen Planeten“, bemerkt Prof. Siegfried Franck vom
PIK. Die Frage ist, ob das Leben vier Milliarden Jahre brauchte, um
höhere Formen zu entwickeln, oder ob dies auch schon nach kürzerer Zeit
möglich ist, wenn die äußeren Bedingungen, allen voran die
Oberflächentemperatur, es zulassen. Betrachtet man das stattliche Alter
unserer Erde, so lässt sich feststellen, dass die Entwicklung des
höheren Lebens relativ gesehen einen recht schnellen Verlauf nahm:
Gerade Mal ein Neuntel der Erdgeschichte sind seit der Kambrischen
Explosion vergangen. Da die Potsdamer Forscher der Meinung sind, dass
das Absinken der Temperatur – wodurch auch immer ausgelöst – der
entscheidende Faktor für den biologischen „Big Bang“ war, hätte die
Entwicklung bei entsprechender Temperatur auch schon früher stattfinden
können.
Für ihre Forschungsarbeit nutzte das Potsdamer Team
ein bereits entwickeltes Erdsystemmodell, das die Wechselwirkungen
zwischen der Geosphäre und der Biosphäre in geologischen Zeiträumen
beschreibt. Sie betrachteten die allmähliche Abkühlung als den Auslöser
der Kambrischen Explosion und untersuchten dann die Stabilität des
Erdsystems gegenüber einem plötzlichen Absinken der globalen
Oberflächentemperatur vor der Kambrischen Ära. „Dabei stellten wir
fest, dass gerade am Ende des Präkambriums geringe Temperaturänderungen
ausgereicht hätten, um das Einsetzen der Kambrischen Explosion
vorzudatieren.“, so die Forscher.
Wenn auch die
Wissenschaftler nicht sagen können, wieso die Artenvielfalt gerade vor
542 Millionen Jahren einsetzte, so wird ihre Hypothese dazu beitragen,
die komplexen Prozesse im sich selbst regulierenden Erdsystem besser zu
verstehen. Und der Blick auf die Diagramme lässt auch noch ein weitern
Schluss zu: Die Oberflächentemperatur – abhängig vom Sonnenlicht –
dürfte noch die kommenden 800 Millionen Jahre unsere Lebensform
ermöglichen. „Wir befinden uns gerade in einer optimalen Zeitspanne für
unsere Entwicklung“, so Prof. Siegfried Franck.
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