gedruckte Ausgabe
vom
Sonnabend, 17. Dezember 2005
Ressort: Sonderthemen

DER FORSCHER
Vom Erdling zum Außerirdischen

Ist da jemand? Diese Frage stellen sich gegenwärtig viele Astronomen, die Planeten außerhalb des Sonnensystems ins Visier nehmen. „Ausgeschlossen!“, antwortet Siegfried Franck dann. Oder: „Möglicherweise schon!“ Der 53-jährige Physiker hat an der Akademie der Wissenschaften den Aufbau der Erde studiert, später am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung das Zusammenspiel von Geo- und Biosphäre. Die intensive Beschäftigung mit der Entwicklung unserer Erde hat Franck immer näher an die Frage herangeführt, unter welchen Bedingungen auch andere Planeten bewohnbar sind. Heute sucht der Forscher nach habitablen Zonen im Universum. Da könnte zumindest jemand sein. tdp


Leben im Zeichen des Krebses

Bisher wurden 170 Planeten außerhalb des Sonnensystems entdeckt. Um den Stern 55 Cancri A könnte eine zweite Erde kreisen.

Von Thomas de Padova



Siegfried Franck weiß wohin man am Himmel schauen müsste, um etwas Sensationelles zu entdecken: zu den Sternen 47 Ursae Majoris, e Eridani und allen voran zu 55 Cancri A. Dieser Stern im Sternbild Krebs hat bereits einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vier Planeten umkreisen ihn. Er besitzt das größte bisher bekannte Planetensystem jenseits unserer Welt. Und wenn man noch genauer hinschauen könnte, wenn die Teleskope gut genug wären, würde man im Umfeld des Sterns womöglich einen fünften Planeten entdecken: einen kleinen belebten Himmelskörper, eine zweite Erde. „Im Moment ist 55 Cancri A unser heißester Kandidat“, sagt Franck.

Der 53-Jährige leitet ein außergewöhnliches Forschungsprojekt. Sein Büro liegt in einem alten Backsteingebäude im Eichenwald auf dem Telegrafenberg. Hier oben, im Potsdamer Wissenschaftspark, kommt der Besucher an Geo- und Meeresforschungsinstituten sowie den historischen Observatorien für Astrophysik vorbei. Franck wandert seit 1977 zwischen den Fachgebieten hin und her. Seine Schuhe haben das rotbraune Laub umgegraben, er hat die Beschaffenheit unserer Erde aus vielen Blickwinkeln studiert: zunächst in der Akademie der Wissenschaften, inzwischen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Der Institutsname ist irreführend. Hier geht es nicht nur ums Klima, sondern um das ganze System Erde. Francks Blick schweift sogar noch weiter hinaus: zu den Planeten außerhalb des Sonnensystems. Er hat sich intensiv mit den Voraussetzungen für das Leben auf der Erde auseinander gesetzt, nun sucht er nach Orten in der Milchstraße, in denen die Bedingungen für die Entstehung von Lebewesen ähnlich günstig sein könnten.

Das Umfeld des Sterns 55 Cancri A ist so ein Ort. Astronomen haben mittlerweile 170 Planeten jenseits des Sonnensystems entdeckt. Doch die Planeten selbst sind unsichtbar geblieben. Sie verblassen neben den leuchtenden Sternen, sie sind zu klein und zu dunkel, als dass man sie beim gegenwärtigen Stand der Technik fotografieren könnte.

Extrasolare Planeten machen sich bisher nur indirekt bemerkbar, nur dann, wenn sie mit ihrer Schwerkraft so sehr an ihrem Mutterstern zerren, dass dieser sich periodisch hin und her bewegt. Fast alle bisher entdeckten Planeten sind daher ziemliche Riesen, so groß wie der Planet Saturn, den Sie hier im Bild sehen, oder noch größer. Aber dass sie kleinere Geschwister haben, die unserer Erde ähneln, daran zweifelt kaum noch jemand.

Geoffrey Marcy und Paul Butler haben den Stern 55 Cancri A jahrelang beobachtet. An seinen periodischen Bewegungen konnten die amerikanischen Forscher ablesen, dass es dort mindestens vier große Planeten gibt. Sie haben sogar ermittelt, auf welchen Bahnen die Trabanten den Stern umkreisen: Zwischen den drei inneren Planeten und dem äußeren klafft eine große Lücke. Sie ist größer als der Abstand zwischen Merkur und Jupiter in unserem Sonnensystem. Und das will was heißen! Dazwischen ist immerhin genügend Platz für die drei Planeten Venus, Erde und Mars.

Franck ist nicht der einzige Forscher, der vermutet, dass die riesige Lücke um 55 Cancri A nicht leer ist, sondern dass dort mindestens ein weiterer, kleinerer Planet bislang unbemerkt seine Kreise zieht. Und in Teilen des betrachteten Gebiets wäre nicht nur die Umlaufbahn eines hypothetischen fünften Planeten stabil, dieser Planet könnte sogar belebt sein, meint Franck.

Science-Fiction-Autoren werden für Tagträume bezahlt, Forscher für Skepsis und nüchternes Urteil. Ihre Einsichten kommen oft im Gewand mathematischer Formeln daher. So auch in diesem Fall.

Franck schaltet den Computermonitor ein und sitzt vor einem Satz von Differentialgleichungen. Die mathematischen Zeichen verwandeln sich rasch in ein grünes Band, das den Stern 55 Cancri A umgibt. „Dieses Band ist die habitable Zone, die wir errechnet haben.“ Um herauszufinden, dass es eine solche lebensfreundliche Region gibt, bedurfte es vor allem einer näheren Betrachtung des Sterns.

55 Cancri A hat etwa 60 Prozent der Leuchtkraft unserer Sonne. Ein Planet, der ihm so nahe ist wie die Venus der Sonne, wäre also keinem Höllenfeuer ausgesetzt, sondern könnte mit einem angenehmen Treibhausklima aufwarten.

Der Stern ist zudem 4,5 Milliarden Jahre alt, und etwa dasselbe Alter haben seine Planeten, die mit ihm aus einer Gas- und Staubwolke hervorgegangen sind. 4,5 Milliarden Jahre sind, wie wir von der Erde wissen, lang genug für die Entwicklung von Lebewesen. Die Spanne ist andererseits so kurz, dass ein Planet in diesem Zeitraum nicht völlig auskühlt. Für Franck ein wichtiger Anhaltspunkt.

Der Mantel unserer Erde ist seit ihrer Entstehung um 250 Grad abgekühlt. Dem entsprechend brodelt es im Erdinneren heute weniger, aber noch sind die Vulkane nicht erloschen. Sie halten nach wie vor den Kohlenstoffkreislauf in Gang: Gemeinsam mit den sich bewegenden Erdplatten pumpen die Vulkane das von Gestein und Lebewesen aus der Luft aufgenommene Kohlendioxid zurück in die Atmosphäre. Ein fundamentaler Kreislauf. Denn ohne ein Mindestmaß an Kohlendioxid, ohne die Möglichkeit zur Photosynthese, ist ein Fortbestand des Lebens nur schwer vorstellbar.

Franck schaut über den Rand seiner tief liegenden Brille auf die nächste Abbildung. Darauf ist zu sehen, wie das lebensfreundliche grüne Band mit den Jahrmilliarden immer schmaler wird. Der Stern 55 Cancri A bläht sich – wie unsere Sonne – auf, in seiner Umgebung wird es immer heißer. Irgendwann übersteigt die Temperatur auf dem Modellplaneten eine für alle Lebewesen kritische Marke.

Schon heute ist die Leuchtkraft unserer Sonne 30 Prozent höher als vor 4,6 Milliarden Jahren. Das wird sich fortsetzen. In 800 bis 900 Millionen Jahren könnte auf der Erde die 30-Grad-Grenze für Tiere und Pflanzen überschritten werden, schätzen Franck und seine Kollegen Christine Bounama und Werner von Bloh. Einfache Lebensformen sind weniger hitzeempfindlich. Sie werden erst einige 100 Millionen Jahre später zu Grunde gehen. Todesursache könnte dann auch Kohlendioxidmangel sein.

Derzeit pusten Industrie und Autos zwar zu viel Kohlendioxid in die Luft. Aber im Lauf der Jahrmilliarden hat die Atmosphäre der Erde immer mehr Kohlendioxid verloren. Grund dafür ist unter anderem die Verwitterung des Gesteins.

Auf einem wasserreichen Planeten wie der Erde wird Kohlendioxid im Gestein gebunden. Die Verwitterungsprozesse schreiten schnell voran, wenn es warm ist und es viel Gestein gibt, wenn also große Kontinente aus dem Meer aufsteigen.

„Das ging auf der Erde schubweise vor sich“, sagt Franck. Anfangs gab es auf der Erde fast nur kleine Landflächen, heute nehmen sie etwa ein Drittel des Globus ein. Bei anhaltender vulkanischer Aktivität wird in 1,5 Milliarden Jahren die Hälfte unseres Erdballs aus Kontinenten bestehen. Von Francks Modellplaneten bleiben diejenigen am längsten bewohnbar, die zu Beginn viel Wasser haben und wenig Land. Ozeanreiche Wasserwelten bieten langfristig die besten Üerlebensbedingungen. So bleibt das Kohlendioxid lange in der Luft.

Die klimatischen Verhältnisse müssen allerdings sehr lange stabil sein, damit sich Leben auf einem Planeten entwickeln kann. Auf der Erde hat es vier Milliarden Jahre gedauert, bis über Bakterien und vielzellige Algen schließlich Tiere entstanden, die das Festland eroberten. Im Kosmos ist derart komplexes Leben womöglich nicht weit verbreitet.

Näheres werden wir erfahren, wenn in 15 oder 20 Jahren die entsprechenden Weltraumteleskope im Einsatz sind, um die ersten erdähnlichen Planeten ins Visier zu nehmen. In der Umgebung von 55 Cancri A sind die Aussichten dafür nicht schlecht. Wir bleiben einstweilen mit beiden Beinen auf der Erde und versuchen im nächsten Teil unserer Serie am Mittwoch, die Sternenwelt von Berlin aus mit einem kleinen Teleskop zu erkunden.